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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser
Autoren: Jutta Mehler
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auf den anderen mit dem Lenker des Leichenwagens vertauscht. Doch, wie man bald reden hörte, hatte er schnell gelernt, was ein guter Bestatter können musste. Hilde hielt sich viel darauf zugute, Rudolf bei seinem Start eine unentbehrliche Stütze gewesen zu sein. Es war ihr keineswegs leichtgefallen, das Geschäft abzugeben, aber wie hätte sie es alleine weiterführen sollen? Inzwischen saß Rudolf fest im Sattel, und eigentlich hätte Hilde sich nun zurückziehen können. Das war allerdings das Allerletzte, was sie wollte. Rudolf hingegen schien geradezu darauf zu drängen. Hildes Tage bei Westhöll seien gezählt, hieß es.
    Bleibt die Frage, ob sie sich so einfach ausbooten lässt, dachte Thekla. Vielleicht, ging es ihr durch den Sinn, sorgt aber auch Rudolfs Frau dafür, dass Hilde bleiben und ihr zur Seite stehen kann, wenn Rudolf unterwegs ist, womit man ja ständig rechnen muss.
    Thekla schluckte den köstlichen Nuss-Mokka-Brei und schaute zu, wie Wally nach ihrem Glas griff und den Rest des Cognacs kippte.
    »Totenflecken«, sagte sie dann zu Hilde, »was Rudolf an Lanz aufgefallen ist, waren wohl ganz gewöhnliche Totenflecken, vielleicht etwas ausgeprägtere als sonst. Sobald der Blutkreislauf still steht«, fügte sie gedämpft hinzu, »sinkt das Blut entsprechend der Schwerkraft in die unten liegenden Körperpartien, das kann schon mal bizarre Bilder ergeben.«
    Hilde ließ ein Zischen hören. »Was glaubst du denn, was mein Neffe seit drei Jahren tagtäglich zu sehen bekommt? Totenflecken, Leichenstarre, Zersetzung. Er kümmert sich doch selbst um fast jeden Leichnam, stopft den Toten mit Bio Air getränkte Wattebäusche in die Körperöff–«
    Wally gab ein Würgen von sich.
    »Rudolf färbt Wimpern, pudert Gesichter, trägt Lippenrot auf«, setzte Hilde ihre Schilderung gemäßigter fort. »Wie ich schon sagte, Rudolf ist der Beste. In knapp drei Jahren hat er es ein ganzes Stück weiter gebracht als einige seiner Kollegen in Jahrzehnten.« Sie stach ihren knochigen Zeigefinger in Richtung Theklas Brustbein. »Rudolf weiß genau, wie frische und wie altbackene Totenflecken aussehen, und er weiß auch ganz genau, wo sie hingehören und wo ni–«
    »Hilde«, wurde sie von Wally unterbrochen. »Kennst du vielleicht den jungen Mann dort drüben an dem Tisch unterm Mauerbogen? Der schaut dauernd zu uns herüber.«
    Thekla beobachtete, wie Hildes Blick die Arkaden entlangzuwandern begann, die sich auf der gegenüberliegenden Seite durch den Raum zogen, und schließlich verharrte. Im nächsten Moment registrierte sie, dass Hilde jemandem grüßend zunickte.
    Sie fasste nun ebenfalls die Plätze unter den Arkaden genauer ins Auge und sah einen Mann in den Vierzigern sich halb von seinem Sitz erheben und höflich verneigen.
    »Du kennst den tatsächlich, Hilde«, stellte Wally hingerissen fest. »So einen gut aussehenden jungen Mann kennst du. Und wie galant er dich gegrüßt hat. Ist er etwa ein leidenschaftlicher Verehrer von dir?«
    Thekla verdrehte die Augen. Wally las eindeutig zu viele Schundromane. Um Hilde eine romantische Beziehung mit einem Mann welchen Alters auch immer zu unterstellen, brauchte es eine geradezu groteske Phantasie.
    »Das da drüben ist Oskar Pfeffer«, erklärte Hilde kurz angebunden. »Särge, Sargwagen, Tragen, Grabroste, Rasenmatten, Pietätsartikel. Alles, was ein Bestatter braucht, kann er besorgen und liefert es umgehend in seinem Transporter an.«
    Das also steckt hinter der galanten Verbeugung, dachte Thekla spöttisch. Für eine umfangreiche Bestellliste würde der Kerl Bluthund und Zerberus hofieren.
    »Pfeffer weiß ganz genau, dass die Bestellungen vom Bestattungsinstitut Westhöll über meinen Schreibtisch gehen«, sagte Hilde.
    Thekla schenkte ihr ein anerkennendes Lächeln. Nein, Hilde ließ sich nichts vormachen – von niemandem. Das war schon immer so gewesen. Bereits während ihrer gemeinsamen Schulzeit hatte Thekla sie für ihre bemerkenswerte Klarsicht bewundert und ihr dafür die eklatante Barschheit und das mangelnde Einfühlungsvermögen nachgesehen.
    »So ein strammer Bursche«, sagte Wally mit einem Seufzer und warf einen verträumten Blick in Richtung Arkaden. »Und ich hatte den Eindruck, als würde er sich ernstlich für dich interessieren, Hilde.«
    Hilde ignorierte Wallys Bemerkung. »Rudolf hat diese seltsamen Flecken schon an anderen Toten gesehen«, sagte sie stattdessen. »Er hält sie für verdächtig.«
    Sie ist klarsichtig, vernunftbegabt,
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