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Mord und Mandelbaiser

Mord und Mandelbaiser

Titel: Mord und Mandelbaiser
Autoren: Jutta Mehler
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tüchtigst gediehen, weil die Ärmste auch noch mit einem unstillbaren Hunger nach Süßem geschlagen war.
    Thekla glaubte, Mitleid in Elisabeths Stimme mitklingen zu hören, als sie sagte: »Wie wär’s mit einer Krönner-Waffel, Frau Maibier? Da stecken kaum Kalorien drin.«
    Wally machte ein Gesicht, als hätte man sie auf Wochen hinaus zu Wasser und Brot verdammt, und nickte fügsam.
    »Und dazu eine schöne heiße Schokolade«, fuhr Elisabeth liebenswürdig fort.
    »Mit Sahne«, flüsterte Wally.
    »Mit Sahne«, bestätigte Elisabeth verschwörerisch lächelnd, wandte sich ab und steuerte auf die Theke zu. Wallys Stimme holte sie nach zwei Schritten ein.
    »Zur Krönner-Waffel bitte ein Stück Prinzregententorte.«
    Thekla beobachtete, wie Hilde die Augen verdrehte. Arme Wally. Was Hilde zur eben ausgesprochenen Bestellung zu sagen hatte, würde bestimmt wehtun. Thekla empfand beinahe Mitleid mit Wally, obwohl sie selbst oft wenig einfühlsam mit ihr umsprang.
    Man sollte sie in Frieden lassen, dachte sie. Wally hatte schon genug unter der eigenen Gewissenspein, unter der Verachtung ihres Mannes und unter dem Gespött ihrer Familie zu leiden.
    Wie sich zeigte, beabsichtigte Hilde jedoch keineswegs, Wally wegen der Prinzregententorte zu rüffeln. Stattdessen wiederholte sie in einem Ton, als hätte sie eine Klasse unaufmerksamer Schüler vor sich: »Der Dichter ist tot. Gestern ist er gestorben, in der Blüte seiner Jahre.«
    Thekla prustete. »Jahre sind wirklich das Einzige, was bei dem geblüht haben mag.« Dann fügte sie ernst hinzu: »Dieser Schmierfink war ja zu seinen Lebzeiten bereits eine Leiche – eine Schnapsleiche ohne Talent und ohne Charisma.«
    Hilde warf ihr einen derart erzürnten Blick zu, dass Thekla beinahe zusammenzuckte. »Ein bisschen Respekt vor einem Verstorbenen wäre doch wohl angebracht, Thekla – Kruzitürken.«
    Thekla staunte. Seit wann, fragte sie sich, legt Hilde Wert auf pietätvolles Totengedenken? Seit wann macht sie sich mit einem »Kruzitürken« dafür stark? Nicht dass Fluchen bei ihr ungewöhnlich gewesen wäre – aber trotzdem. Hat sie ihn etwa heimlich verehrt, diesen großtuerischen Schwafler?
    Bevor sie diesem Gedanken nachgehen konnte, kehrte Elisabeth bereits wieder an den Tisch zurück und begann zu servieren.
    Wally nahm einen mit Kuchen überladenen Teller in Empfang. Während sie die üppigen Buttercremeschichten in ihrem Stück Prinzregententorte bereits mit den Augen verschlang, seufzte sie theatralisch: »Er hat doch so herrliche Gedichte geschrieben …!«
    Thekla wand sich, als habe sie Bitterwurzel geschluckt, und sämtliche guten Vorsätze – nämlich Nachsicht und Toleranz gegenüber Wally zu üben – machten sich wie von Furien gehetzt aus dem Staub. Das geschah immer dann, wenn Wally anfing, für Kitsch und Schund zu schwärmen. Genauer gesagt für das, was Thekla dafür hielt.
    Theklas Stimme troff vor Hohn, als sie deklamierte: Dunkle Schwaden entweichen feuchten Auen. Betäubt vom Nebel stirbt der September.«
    Hilde legte das Besteck, mit dem sie sich gerade über ihren Käse-Krabben-Toast hermachen wollte, auf die Serviette zurück. »Mangelndes Verständnis für Lyrik gibt dir noch lange nicht das Recht, dich über die Dichtkunst lustig zu machen«, sagte sie streng.
    »Ich«, antwortete Thekla und machte nach jedem Wort eine greifbare Pause, »habe – nur – zitiert.«
    Wally leckte den Löffel ab, mit dem sie die Sahnehaube in ihrem Kakao verrührt hatte, setzte ein entrücktes Lächeln auf und begann nun ihrerseits zu deklamieren: »Bebend hängt an nackten Zweigen –«
    Thekla unterbrach sie ruppig. »Blödsinn, Quatsch, Papperlapapp. An nackten Zweigen hängt nichts. Rein gar nichts, verstehst du, sonst wären sie ja nicht nackt.«
    Hilde hob ihre Gabel und stieß damit in Theklas Richtung. »Dichterische Freiheit, verstehst du ?«
    Bevor Thekla spitz entgegnen konnte, purer Unsinn ließe sich nur dann entschuldigen, wenn der Verfasser es genau darauf angelegt habe – wie bei »Dunkel war’s, der Mond schien helle« beispielsweise –, stellte Elisabeth den Milchkaffee, den sie erst jetzt brachte, vor sie hin.
    Elisabeth schien einen Teil des Gesprächs mitbekommen zu haben, denn sie sagte: »Ich habe mir auch eine Zeile aus einem seiner Gedichte gemerkt.« Sie schloss die Augen und faltete die Hände wie zum Gebet. »Ich umarme freudetrunken den Lindenbaum, atme Stille, empfange Traum.«
    Diesmal lachte Thekla so laut, dass die
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