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Mord und Brand

Mord und Brand

Titel: Mord und Brand
Autoren: Gerhard Loibelsberger
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tristen Wirklichkeit für ein paar Stunden entfliehen zu können, hellte des Schneidermeisters Miene auf. Seiner mürrisch dreinschauenden Frau nahm er 14 Heller ab. So viel kostete die siebzigste Fortsetzung des Romans ›Fetzer, der größte deutsche Räuberhauptmann des 19. Jahrhunderts‹. Mit stark tschechischem Akzent sagte er:
    »Sehr schene Roman. Sehr schen… Da mit die Fetzer lernt ich Deitsch.«
     
    Das Ende seines Rundgangs führte Budka in die besseren Wohngegenden diesseits des Gürtels. Hier waren Beamtenwitwen, gelangweilte Hausfrauen, Gouvernanten, Köchinnen und Dienstmädchen seine Kundinnen. Die männlichen Bewohner konnten sich in der Regel den Besuch eines Kaffeehauses leisten. Dort lagen Zeitungen und Zeitschriften auf, die reichlich Lesestoff boten oder man traf Freunde und Bekannte, mit denen man diskutieren und politisieren konnte. Kurz: Wer ins Kaffeehaus ging, stand selbst mitten im Leben. Die Lektüre eines Kolportageromans erübrigte sich somit.
    Er lief Stiegenhäuser hinauf und hinunter, trotz des kalten Wetters stand ihm der Schweiß auf der Stirne. Ungeduldig sah er der letzten Station seiner Tour entgegen. Nicht, dass ihn Frau Schmidt, die ihn dort erwartete, sonderlich interessiert hätte. Sie war eine fette, viel zu stark parfümierte Hofratswitwe mit mehrfachem Doppelkinn und Froschaugen. Bis auf einmal, als eine elegante, etwas jüngere Frau bei ihr zu Besuch war, lag sie immer faul auf einem Kanapee im Salon, döste vor sich hin und stopfte mit ihren kleinen dicken Fingern Konfekt in sich hinein. Diese letzte Kundin wohnte in einer herrschaftlichen Wohnung in der Zeismannsbrunngasse. Das Dienstmädchen ließ ihn ein und führte ihn in den Salon der Wohnung, wo die Dame des Hauses mit dünnem Lächeln seine Neujahrswünsche und die neueste Folge des französischen Räuberromans ›Cartouche‹ entgegennahm. Mit einer müden Handbewegung gab sie ihm 14 Heller, das Dienstmädchen geleitete ihn wieder zur Wohnungstür. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, atmete er tief durch. Mit vor Aufregung wackeligen Beinen ging er ein halbes Stockwerk hinunter. Dort befand sich ein großes Fenster mit einem ziemlich tiefen Fensterbrett, auf dem Blumentöpfe mit prächtigen, alten Kakteen standen. Bösartige, stachelige Gfraßter 2 , die nur darauf lauerten, jeden, der ihnen zu nahe kam, zu stechen. Vorsichtig, ganz vorsichtig hob er die Untertasse des rechten, äußeren Blumentopfes. Und da blitzte es: ein weißes Kuvert. Gierig griff er mit der anderen Hand danach, fischte es hervor und streifte dabei einen fünf Zentimeter langen Stachel. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei, ließ das Kuvert fallen und lutschte an der verletzten Stelle. Es schien ihm, als ob der Kaktus hämisch grinste. Zornig zückte er sein Messer, um das stachelige Monstrum zu zerstückeln. Im letzten Augenblick beherrschte er sich. Nur nicht auffallen! An seinem Handrücken lutschend, hob er das Kuvert auf.
    »Da schau her…«, murmelte er, als er nicht nur die Anzahlungsrate von zwei 50-Kronen-Scheinen fand, sondern auch ein Stück Papier, das bei den Geldscheinen lag. Er hielt es zum Licht und las:
    Friederike Nemec muss ebenfalls sterben. Sie arbeitet im Verschleißmagazin des Ersten Wiener Consum-Vereins in Wien V, Pilgramgasse 16.
    Leise pfiff er durch die Zähne und steckte den Mordauftrag mit Namen und Adresse des Opfers ein. Er kratzte sich am Kopf, kramte aus seiner Hosentasche einen Bleistiftstumpf hervor und kritzelte auf das Kuvert:
    Wird gemacht. Fir dopeltes Honnorar.
    Diese Antwort schob er unter den Blumentopf. Er machte es so vorsichtig, dass kein Stachel ihn verletzen konnte. Dafür erntete er vom Kaktus einen griesgrämigen Blick.
     
     

II.
    Hatte Budka heute Morgen etwas von einem grauslichen und üblen Tag gemurmelt? Falls dem so war, hatte er sich geirrt. Der Tag war großartig. Mit einem Schlag würde er nun nicht nur 500, sondern 1000 Kronen verdienen. Beschwingt schritt er durch den 7. Bezirk, überquerte die belebte und stark befahrene Mariahilfer Straße und ging dann weiter hinunter zum Wiental. Dort– in der Nähe des Naschmarktes– kehrte er in eine seiner Lieblingsspelunken ein. Er bestellte sich ein großes Bier, einen doppelten Slibowitz 3 und ein Gulasch. Den Slibowitz kippte er als Erstes hinunter. Wohlig mild rann die ölige Spirituose den Schlund hinab. Er beutelte sich kurz, seufzte zufrieden »Ahhh…« und merkte, wie sich eine angenehme Wärme vom Magen ausgehend
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