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Mord auf dem Golfplatz

Mord auf dem Golfplatz

Titel: Mord auf dem Golfplatz
Autoren: Agatha Christie
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Einmal hätte ich fast einen Mann umgebracht. Ja, wirklich. Und eigentlich hatte er es nicht besser verdient.«
    »O bitte«, flehte ich, »werden Sie nicht zornig auf mich!«
    »Werde ich nicht. Ich mag Sie – ich habe Sie auf den ersten Blick gemocht. Aber Sie haben ein so missbilligendes Gesicht gezogen, dass ich nicht dachte, wir könnten jemals Freunde werden.«
    »Das haben wir jedenfalls geschafft. Erzählen Sie mir ein bisschen von sich.«
    »Ich bin Schauspielerin. Nein, nicht die Sorte, an die Sie jetzt denken. Ich habe schon mit sechs Jahren auf der Bühne gestanden – oder bin dort gefallen.«
    »Wie?«, fragte ich verwirrt.
    »Haben Sie noch nie von Kindern gehört, die als Akrobaten auftreten?«
    »Ach, ich verstehe.«
    »Ich wurde in Amerika geboren, habe aber fast mein ganzes Leben in England verbracht. Wir haben jetzt eine neue Show…«
    »Wir?«
    »Meine Schwester und ich. Wir singen und tanzen und schwatzen ein bisschen, und wir machen auch ein paar von den alten Sachen. Diese Art von Show ist ziemlich neu und kommt immer gut an. Und sie wird Geld bringen…«
    Meine neue Bekannte beugte sich vor und fuhr fort mit ihrer lebhaften Schilderung, wobei ich viele ihrer Ausdrücke ganz einfach unverständlich fand. Und doch entdeckte ich in mir ein wachsendes Interesse an dieser Frau. Sie schien eine sehr seltsame Mischung aus Frau und Kind zu sein. Zwar absolut weltgewandt und, wie sie selbst sagte, durchaus im Stande, auf sich aufzupassen, aber ihr schlichtes Weltbild und ihr unumstößlicher Entschluss, »ein Glanz zu werden«, hatten doch etwas überraschend Naives.
    Wir passierten Amiens. Dieser Name weckte viele Erinnerungen in mir. Und meine Reisegefährtin schien meine Gedanken erraten zu können.
    »Denken Sie an den Krieg?«
    Ich nickte.
    »Sie waren dabei, nehme ich an?«
    »Das können Sie wohl sagen. Ich bin einmal verwundet und nach der Schlacht an der Somme für kriegsuntauglich befunden worden. Jetzt bin ich eine Art Privatsekretär bei einem Parlamentsabgeordneten.«
    »Du meine Güte! Da müssen Sie aber gescheit sein.«
    »Nein, so anspruchsvoll ist dieser Posten nicht. Eigentlich habe ich gar nicht viel zu tun. Normalerweise reichen ein paar Stunden pro Tag. Und langweilig ist die Arbeit auch. Ich wüsste wirklich nicht, was ich machen sollte, wenn ich nicht noch eine andere Beschäftigung hätte.«
    »Sagen Sie bloß nicht, dass Sie Insekten sammeln!«
    »Nein. Ich wohne mit einem sehr interessanten Mann zusammen. Einem belgischen Exkommissar. Er betätigt sich jetzt in London als Privatdetektiv und hat außergewöhnlich viel Erfolg. Er ist wirklich ein wunderbarer kleiner Mann. Immer wieder findet er eine Lösung, wo die offizielle Polizei versagt hat.«
    Die Augen weit aufgerissen, hörte meine Reisegefährtin zu.
    »Das ist wirklich interessant. Ich finde Verbrechen wunderbar! Ich sehe mir jeden Kriminalfilm an. Und wenn von einem Mord berichtet wird, dann verschlinge ich die Zeitungen geradezu.«
    »Erinnern Sie sich an den Fall Styles?«, fragte ich.
    »Lassen Sie mich nachdenken, war das die vergiftete alte Dame? Irgendwo unten in Essex?«
    Ich nickte. »Das war Poirots erster großer Fall. Ohne ihn wäre der Mörder zweifellos ungeschoren davongekommen. Er hat wirklich großartige Detektivarbeit geleistet.«
    Ich erwärmte mich für mein Thema und fasste die Geschichte kurz zusammen, um dann zur triumphierenden und unerwarteten Auflösung zu kommen.
    Mein Gegenüber lauschte hingerissen. Wir waren so vertieft in unser Gespräch, dass wir gar nicht gleich merkten, dass unser Zug schon in den Bahnhof von Calais eingefahren war.
    Ich winkte zwei Träger herbei, und wir verließen den Zug. Auf dem Bahnsteig streckte meine Reisegefährtin die Hand aus.
    »Auf Wiedersehen, und in Zukunft werde ich auf meine Sprache achten.«
    »Ach, darf ich mich denn auf der Fähre nicht um Sie kümmern?«
    »Vielleicht nehme ich die Fähre gar nicht. Ich muss erst einmal feststellen, ob meine Schwester den Zug doch noch erwischt hat. Aber haben Sie auf jeden Fall vielen Dank.«
    »Ach, wir sehen uns doch sicher wieder. Und wollen Sie mir nicht einmal Ihren Namen verraten?«, rief ich, als sie sich abwandte.
    Sie schaute sich kurz um.
    »Cinderella«, sagte sie lachend.
    Und ich konnte damals wirklich nicht ahnen, wann und unter welchen Umständen ich Cinderella wieder sehen würde.

Zweites Kapitel

Ein Hilferuf
     
    A m folgenden Morgen betrat ich um fünf nach neun unser gemeinsames
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