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Mord am Millionenhügel

Mord am Millionenhügel

Titel: Mord am Millionenhügel
Autoren: Gisbert Haefs
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daß Haselmaus wohl nicht mehr kommen würde, und schlug einen Lokalwechsel vor.
    Wir wanderten auf die andere Seite der Bahn, durch die Straßen mit den teils heruntergekommenen, teils bunt renovierten Altbauten, an deren Türen zahllose Klingeln und Namensschilder verraten, daß hier fast ausschließlich Studenten und Gastarbeiter in mehr oder weniger kleinen Zimmern zu mehr oder – selten – weniger teuren Mieten wohnen.
    Im
Lauseck
, einer alkoholischen Goldgrube, herrschte das übliche Gedränge. Anfang der siebziger Jahre hatte hier das versprengte Treibgut der Studentenrevolte in nächtelangen Debatten die gescheiterte Revolution nachgespielt und dem Lokal für die folgenden Jahre den Stempel des kompromißlos linken Trinkens aufgedrückt. Vielleicht das einzige Lokal, das man nicht renovieren durfte, weil mit dem Schmutz, den bröckelnden Wänden, den unbeschreiblichen Toiletten und den ganzen sonstigen Accessoires auch das Publikum verschwunden wäre, das genau dieses Interieur wollte.
    Der dicke Knut mit dem Walroßbart, seit Jahren hinter dem Tresen verwurzelt, nickte uns durch das qualmende Gewühl zu, als wären wir erst gestern dagewesen. Dabei war es, was mich betrifft, schon einige Jahre her. Nicht, daß ich besondere Abneigung gegen den Laden entwickelt hätte; ich war nur jenseits der Demarkationslinie gezogen, die unter dem Namen Bundesbahn Bonn in zwei Hälften schneidet und eine psychologische Barriere bildet: Man geht nur selten in Lokale, die auf der anderen Seite liegen. Aber an manchen Orten bleibt die Zeit stehen; nicht nur durch die beiläufige Begrüßung fühlte ich mich so, als wäre ich nur ein paar Tage fortgewesen. Im Publikum, neben dem zu erwartenden Nachwuchs, immer noch jede Menge Fossilien von vor zehn Jahren: nicht ausgestorbene ewige Studenten, die wehmütig vom SDS träumen; ehemalige Jusos, die mittlerweile als Anwälte oder Immobilienmakler Geld scheffeln und sich abends schnell, mit Jeans verkleidet, in die wilden Jahre zurückschleichen; in Unehren an den Schläfen ergraute, schneidige Aufreißer von ehedem; in Ehren verbeamtete Lehrerinnen, die noch den gleichen Unsinn erzählen, mit nostalgischen Nebentönen, wie weiland – repressive Bildungsinhalte, Erziehung zur Kritikfähigkeit und so – und gleichzeitig mangelnden Respekt und mangelnden Arbeitseifer ihrer Eleven beklagen; in Ehrbarkeit trächtige Mütter, die von den Demos gegen § 218 schwärmen und befinden, daß man keine Kinder in diese schlechte Welt setzen sollte. Einer mit AKW und DKP am Revers der Kordjacke erklärt einem anderen, der sich am Bierglas festhält, daß Kernkraftwerke in der DDR nicht gefährlich sind, weil sie nicht der Ausbeutung dienen. Vehemente Antikapitalisten füttern den von Herrn Gottlieb in Chicago verfertigten Flipper mit Münzen und ereifern sich über den Verlauf der Kugeln. Ein Zoo.
    »Und ausgerechnet hierhin soll sich Haselmaus verirrt haben?« sagte ich, als wir zehn Zentimeter Tresen erobert hatten.
    Baltasar zuckte mit den Schultern. »Warum nicht? Bei Haselmäusen ist kein Ding unmöglich.«
    Es dauerte eine Weile, bis wir unseren sauren Wein bekamen, und eine weitere, bis Baltasar Knuts Ohr für einige ruhige Sekunden und eine Frage geborgt bekam. Zu meiner maßlosen Überraschung nickte der Dicke.
    »Kenn ich«, röhrte er durch den Lärm, »kommt seit einiger Zeit ungefähr zweimal die Woche her, meistens früh. Hockt in der Ecke, trinkt Bier und starrt den Mädels auf die Titten. Spielt wahrscheinlich Taschenbillard dabei; manchmal seh ich seine Hände lange nich auf'm Tresen.«
    Dann spülte er eine Weile Gläser und zapfte. Später beugte er sich wieder zu Baltasar vor. »Was is denn mit dem?«
    Baltasar machte eine beschwichtigende Geste. »Nichts Wichtiges. Ich habe dieser Tage abends was verloren, hatte nen Filmriß, und ein paar Leute haben gesagt, der Typ wär mit mir zusammen aus der letzten Kneipe gegangen.«
    Der Walroßbart verzog sich zur Travestie eines Grinsens. »Wo seid ihr denn versackt?«
    »Im
Pinsel

    Der Bart verschob sich diagonal. »Spät?«
    Baltasar trommelte auf den Tresen. »Knapp fünf.«
    Der Bart rutschte wieder in die Horizontale. »Hat aber lang durchgehalten, der Knabe. Hier zieht er immer so um Mitternacht ab.«
    Wieder eine Weile später, als einige Sekunden ohne neue Bestellungen vergingen:
    »Verträgt nich viel. Drei, vier Große, und er is hinüber. Neulich isser aus der Tür gefallen. Ich war grad vorn und hab ihn
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