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Mord am Millionenhügel

Mord am Millionenhügel

Titel: Mord am Millionenhügel
Autoren: Gisbert Haefs
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studierten die Strecke. Da wir beide Autofahrer sind, kennen wir die Bahn nicht sehr gut, jedenfalls nur so, daß es zum Spotten reicht.
    »Tja«, sagte ich, »das wäre dann also Tannenbusch-Mitte, Richtung Köln. Drei Stationen Richtung Godesberg brächten ihn vom Bahnhof wieder zurück bis in Höhe
Lauseck

    Matzbach sah mich zufrieden an. »Siehst du«, sagte er, »du bist mir eben doch eine große Hilfe. Wär ich nie drauf gekommen.« Er lachte wie über einen guten Witz. »Aber warum ist er nicht in Richtung Rhein gegangen, bis zum Juridicum oder zum AA, um die Bahn schon vor dem Bahnhof zu erwischen?«
    Ich erinnerte mich an meine Gefühle beim Überqueren der Bahngeleise. »Erstens ist es nicht wesentlich kürzer. Zweitens, und das ist wichtig, ist die Bahn dazwischen, diese Trennmauer. Wenn ich mit zugehauenem Kopf unterwegs wäre, würde ich immer auf der Seite der Bahn bleiben, wo ich bin.«
    Baltasar akzeptierte die Begründung und wies auf den Fahrplan. »Hier«, sagte er, »ungefähr um Viertel nach zwölf fährt die letzte Bahn in diese Richtung. Kommt hin.« Er strahlte. »Was machen wir jetzt? Wollen wir versacken?«
    Mir war nicht danach zumute. »Ich würde lieber, solange ich noch nüchtern bin, nach Hause fahren.«
    »Okay. Schade, daß die Bahn schon weg ist, sonst hätten wir nachsehen können, ob Haselmaus reinsteigt. Na ja. Was machen wir morgen?«
    Wir verabredeten uns zu einem längeren Frühstück gegen zehn in Baltasars Wohnung.
    Auf der Heimfahrt fragte ich mich noch mehrere Male, ob ich wirklich so verrückt war, mich auf dieses hirnrissige Unternehmen einzulassen, das weder einen sinnvollen Anfang noch ein ergiebiges Ende zu haben schien. ›Aber‹, dachte ich, ›mal sehen, was der Samstag bringt. Spätestens morgen abend steige ich aus.‹

3. Kapitel
    Es bereitet mir jedesmal ein perverses Vergnügen, bei Tageslicht die Breite Straße zu durchwandern. Ich gebe zu, daß ich häufiger nachts dort anzutreffen bin, im eigentlichen Kneipenviertel der sogenannten Altstadt, aber das Tageslicht hat den Vorteil, gewisse Perspektiven sichtbar zu machen. Dazu zählt der Blick auf ein weiteres Meisterwerk der Bonner Planer und Bürokraten, die sich seit Jahren nach Kräften darum bemühen, die Stadt unbewohnbar zu machen. Glücklicherweise reicht dazu ihre intellektuelle Kapazität nicht aus; das ist nicht sehr überraschend, denn bei ausgeprägteren geistigen Gaben wären sie nicht in Politik oder Verwaltung gegangen, sondern hätten etwas Anständiges gelernt.
    Von der Altstadt gesehen, reckt sich jenseits bunter Jugendstilfassaden ein Betonmonster in den Himmel, Herausforderung an die Götter, deren Nichtexistenz durch das Fortdauern des Gebäudes belegt scheint. An dunklen Tagen sieht das Ganze so aus, als wüchse aus Wolken ein gigantischer Abszeß nach unten, bereit, jederzeit zu platzen. Der Eiter hört auf den Namen Stadtverwaltung. Das Stadthaus ist etwa so ästhetisch in die Umgebung eingepaßt wie ein Bunker zwischen Pagoden. Der Amtsschimmel hat zahllose Altbauten weggefurzt, um dieses bizarre Exkrement zu äpfeln. Nach der Eingemeindung von Godesberg und anderen Ortschaften sollte die Verwaltung zentralisiert werden. Man wollte alle Ämter an einem Ort, in einem Bau zusammenfassen. Als das Ungetüm fertig war, stellte man fest: Es ist zu klein. Deshalb gibt es in Godesberg und anderswo nach wie vor Rathäuser.
    Als ich an diesem ersprießlichen Samstagmorgen nach kurzer Wanderung vorbei an geschlossenen Lokalen und emsigen Bäcker-, Metzger- und Tante-Emma-Läden Baltasars Domizil erreichte, bot sich mir das nächste Idyll.
    Baltasar Matzbach, ein Fettfleck im gelben Kimono, hockte, der statischen Hast des Verweilens ergeben, in seinem Lebensraum, dessen Beschaffenheit trefflich umrissen werden kann mit dem Satz: Auch das absolute Chaos birgt einen Kern der Vollkommenheit. Auf einem schwankenden Bücherstapel ein Paar Schuhe, zwischen leeren Weinflaschen ein Totenschädel, auf dem Schreibtisch ein riesiger Honigtopf, an der Wand über der Sitzbank Boschs
Garten der Lüste
, darunter besagter Baltasar im Kimono an einem bemerkenswert aufgeräumten Frühstückstisch mit Brötchen, Kaffee, Aufschnitt, Käse und Eiern, aber auch Schnürsenkeln und einem überdimensionalen Sparschwein, dessen Kinn Baltasar geistesabwesend kraulte, während er Zeitung las.
    Das Bild überwältigte mich, und die Rührung vertrieb alle harten Worte, die ich über den Unsinn seines Unternehmens hatte
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