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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition)
Autoren: Erri De Luca
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rechten Winkel, schleift nach, rettet, sortiert das bearbeitete Material je nach dem Verlauf der Maserung. Er schimpft auf diejenigen, die den Wald abholzen, dass sie es nicht im Einklang mit den Mondphasen gemacht haben, jetzt ist das Holz schwach und blutet sein Harz aus. Meister Errico erzählt mir, dass Rafaniello abreist, er hat sich eine Fahrkarte für ein Schiff ins Heilige Land besorgt, denn er ist Jerusalem treu. Es werden keine Schuhe mehr in Montedidio repariert, sagt er, heutzutage kauft man sich neue, oder der Bürgermeister schenkt sie den Leuten wegen der Wahlen, einen Schuh vor und einen nach der Abstimmung. Ich vergesse alles, denke ans Arbeiten, bin voller Sägemehl, der Bumerang an meiner Brust schlägt gegen mein Herz. Wir hören nicht mal zum Mittagessen auf, um vier Uhr sind wir fertig, als es schon Abend wird. Wir tauschen Glückwünsche zum neuen Jahr aus, Meister Errico gibt mir doppelten Lohn: »Den hast du dir verdient, mein Junge, lass es dir gut gehen.« Schießt Ihr Raketen um Mitternacht, frage ich ihn, nein, er stellt sich auf den Balkon, raucht seine Zigarre und schaut sich das Feuerwerk der anderen an, besonders das bengalische Feuer gefällt ihm: »Das allerbeste bengalische von ganz Montedidio, das zündet immer Don Ciccio.«
    I CH SCHÜTTELE MIR DAS S ÄGEMEHL aus den Kleidern, klopfe mich ab wie einen Teppich, der Bumerang stößt gegen die Rippen und knistert, ähnlich wie die Flügel unter Rafaniellos Jacke. Don Rafaniello kommt mir in den Sinn, heute Nacht begleite ich seinen Flug mit dem Bumerang. Zu Hause schreibe ich auf den letzten Rest der Papierrolle, nur noch ein paar Umdrehungen, ich muss sie festhalten, denn sie wird von der beschriebenen Seite gezogen. Ich spitze den Bleistift an, warte auf Maria, die fortgegangen ist. Sie kommt atemlos zurück. Sie ist nach oben in ihre Wohnung gegangen, um sauber zu machen und neue Wäsche anzuziehen. Der Hausbesitzer hat an der Wohnungstür auf sie gewartet und sich mitten im Treppenhaus auf sie geworfen, sie hat nicht geschrien, sie hat ihm einen Tritt gegen das Fußgelenk gegeben und ist weggelaufen: »Wenn du dagewesen wärst, hättest du ihn die Treppe hinuntergeworfen«, sagt sie. Sie ist aufgeregt, hat Angst bekommen, er hat sie fest an sich gezogen, und sein Atem stank, er war ganz von Sinnen, aber sie hat sich gewehrt. Ich kriege schlimme Gedanken, die wie ein Bumerang aufgeladenen Nerven werden wütend, sie wollen allen ringsumher Stöße und Ohrfeigen versetzen. »Maria, nun succere n’ata vota« , das passiert nicht noch mal, diese finsteren Worte kommen mir auf Neapolitanisch, ich kehre das Böseste hervor, was in mir ist, es ist das erste Mal, darum weiß ich nicht, was für ein Gesicht ich mache, warum Maria es in ihre Hände nimmt und sagt: »Lass das, es ist nichts, es ist schon vorbei, es war nur eine Dummheit, ich hätt’s dir nicht mal sagen sollen«, und sie sucht meine Augen, und ich weiß nicht, wohin mein Blick geht, denn sie sagt: »Schau mich an, schau mir ins Gesicht«, und sie bewegt mein Gesicht, bis ich mich von den dunklen Gedanken losreiße und sie ansehe und ihre Handgelenke nehme, und mit denen gebe ich mir zwei Ohrfeigen und beiße die Zähne zusammen, da erschrickt sie und umarmt mich, und jetzt, ja, jetzt ist alles vorbei.
    D AS PASSIERT NICHT NOCH EINMAL , sage ich zu ihr ohne Neapolitanisch, mit gelassener Stimme, um sie zu beruhigen. Seit heute weiß ich etwas über mich, etwas Trauriges mitten in dem Glück, mit Maria zusammen zu sein. Es ist nicht alles gut daran, dass mein Körper erwachsen wird, dass ich Neues entdecke, was ich lernen kann. Zusammen mit mir wächst auch das Böse. Zusammen mit der Kraft des Arms, den Bumerang zu befreien, wächst auch eine bittere Kraft, die angreifen kann. Ein Teich mit schwefligen Dämpfen hat in meinem Kopf zu kochen angefangen und hat aus mir jemanden mit unseligen Absichten gemacht. So sind die Menschen auf einmal, wirklich so? Die falsche Bewegung eines anderen reißt einen Deckel herunter, und das böse Blut schießt hoch. Papa kommt nach Hause, Maria fragt ihn, ob er heute Abend eine Pizza essen will, wir holen sie bei Gigino o’fetente , Gigino, dem Ekel, der die beste in der ganzen Stadt macht. Er sagt sofort Ja, eine Margherita. Für uns auch, wir breiten das Tischtuch über dem Küchentisch aus, wenn wir zurückkommen, können wir sie so noch warm essen. Er ist müde, heute hat er ohne Schichtwechsel tief unten im Kielraum gearbeitet,
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