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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition)
Autoren: Erri De Luca
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mir gegeben. Abends fange ich an, mit dem Bumerang zu trainieren. Ich weiß jetzt, dass er nicht aus Amerika kommt, sondern aus Australien. Die Amerikaner haben lauter neue Sachen; wenn sie von den Schiffen kommen, werden sie von den Neapolitanern umringt, weil sie die Neuheiten sehen wollen. Gerade kam ein Reifen aus Plastik an, Hula-Hoop heißt er, ich habe gesehen, wie Maria ihn um ihre Hüften kreisen ließ, ohne dass er zu Boden fiel. »Versuch mal«, hat sie zu mir gesagt, ich habe Nein geantwortet, denn das scheint mir nichts für Männer zu sein. Maria ist vor mir dreizehn geworden, sie wohnt im obersten Stockwerk, es ist das erste Mal, dass sie mit mir spricht.
    I CH HALTE DEN B UMERANG fest in der Hand, spüre den Ruck. Ich habe angefangen, die Wurfbewegung zu üben. Ich hole aus bis hinter die Schulter, ich schwinge ihn nach vorn, um ihn loszulassen, aber ich werfe ihn nicht. Die Schulter ist geschmeidig, wie Maria in den Hüften. Ich kann nicht probieren, wie der Bumerang fliegt, es ist zu beengt bei uns hier oben auf dem Montedidio. Die Hand hält das Holz im letzten Moment zurück und führt es wieder nach hinten. So übe ich die Bewegung vorwärts und rückwärts, der Rücken lockert sich, ich schwitze, halte das Holz fest im Griff, eine winzige Drehung des Handgelenks genügt, um ihn aus den Fingern gleiten zu lassen. Nach einer Weile sehe ich, dass die Rechte breiter ist als die Linke, ich wechsele die Hand. So holt ein Teil meines Körpers den anderen ein, gleicht Schnelligkeit, Kraft und Müdigkeit aus. Die letzten abgebremsten Würfe haben noch mehr Schwung, das Handgelenk schmerzt beim Zurückhalten immer mehr, da höre ich auf.
    I CH WOLLTE NICHT LÄNGER zur Schule gehen, ich war zu groß geworden für die Pulte der fünften Grundschulklasse. In der Frühstückspause zogen manche Kinder ihre Süßigkeiten aus dem Ranzen, wir anderen waren bei der Armenspeisung eingeschrieben, an uns teilte der Hausmeister Brot mit Quittenmarmelade aus. Wenn es anfing, heiß zu werden, kamen die armen Kinder wegen der Läuse mit geschorenen Köpfen in die Schule, kahl wie Melonen. Die anderen Kinder behielten ihre Frisuren. Zu viele Unterschiede aller Art, sie gingen dann weiter zur Schule, wir nicht. Ich musste die Klassen wiederholen wegen des Fiebers, dann war es weg, und ich wollte nicht mehr in die Schule, ich wollte helfen, arbeiten. Mir reicht, was ich gelernt habe, ich kann Italienisch, eine ruhige Sprache, die brav in den Büchern bleibt.
    S EIT ICH ARBEITE und mit dem Bumerang trainiere, habe ich mehr Appetit. Papa frühstückt gern mit mir, um sechs gleitet das erste Licht über die Straße und dringt auch schon in die unteren Stockwerke, wir machen die Lampe nicht an. Im Sommer ist es zuerst noch frisch, wenn es flach über den Boden wandert, bevor es dann aufsteigt und einen Backofen über der Stadt anzündet. Ich tauche das Brot in die Tasse mit Milch, die der Kaffeeersatz dunkel färbt. Er ist sonst jeden Morgen alleine aufgestanden, und jetzt freut er sich, dass ich auch da bin, so kann man ein paar Worte reden, zusammen rausgehen. Mama steht spät auf, sie fühlt sich oft schwach. Zur Mittagszeit gehe ich für sie nach oben in die Waschküche auf dem Dach, um die Wäsche aufzuhängen, abends hole ich sie dann wieder herunter. Früher bin ich nie hinaufgegangen, auf die Dachterrasse, sie liegt hoch oben über Montedidio, abends weht dort ein leichter Wind. Niemand sieht mich, und hier trainiere ich, unter freiem Himmel bebt der Bumerang, der Griff krümmt sich, wenn ich ihn fest umklammere, damit er mir nicht entwischt. Dieses Holz ist gewachsen, um zu fliegen. Meister Errico ist ein tüchtiger Tischler, er sagt, Holz ist gut für das Feuer, das Wasser und den Wein. Ich weiß, dass es auch gut fürs Fliegen ist, aber das sage ich nicht, wenn er es nicht sagt. Ich habe mir überlegt, dass ich den Bumerang von der Waschküche aus fliegen lassen will, der höchsten Terrasse von Montedidio.
    M ÜDE IN DEN A RMEN und verschwitzt strecke ich mich einen Moment auf der Dachterrasse aus, wo die Wäscheleinen gespannt sind. Über mir ist kein Stückchen Stadt mehr, ich mache das gute Auge zu, schaue mit dem halb offenen, ein bisschen kurzsichtigen Auge hinauf. Sofort wird der Himmel dunkler, dichter, ist näher, drängt heran. Das rechte Auge ist schwach, aber den Himmel sieht es besser als das gesunde, das für die Straße gut ist, um den Leuten ins Gesicht zu sehen, und für die Arbeit in der Werkstatt.
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