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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition)
Autoren: Erri De Luca
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und außerdem bin ich nicht mal ein Christ. Da, wo ich herkomme, wurde ich mit einem Namen gerufen, der fast so klang wie Rafaniello.« Ich habe geschwiegen, bisher hatte ich noch keine zehn Worte mit ihm gewechselt. Das Leder der Sandalen duftete, in seiner Hand ist es wieder zum Leben erwacht. Zu Hause hat Mama »braver Junge« zu mir gesagt, weil die Leute mich gern haben. Bei Rafaniello gilt das nicht, der hat alle gern.
    I CH HÖRE R UFE UND S TIMMEN auf Neapolitanisch, ich spreche Neapolitanisch, aber ich schreibe auf Italienisch. »Wir leben in Italien«, sagt Papa, »aber wir sind keine Italiener. Um ihre Sprache zu sprechen, müssen wir sie lernen, das ist wie im Ausland, wie in Amerika, aber ohne hinzufahren. Viele von uns werden niemals Italienisch sprechen, und sie werden auf Neapolitanisch sterben. Es ist eine schwierige Sprache, sagt er, aber du wirst sie lernen, und du wirst ein Italiener sein. Deine Mama und ich nicht, wir nun pu, nun pu, nuie nun putimmo. « Er will sagen »non possiamo« , wir können nicht, aber das Verb fällt ihm nicht ein. Ich sage es ihm, »non possiamo«, sehr gut, sagt er, sehr gut, du sprichst die Nationalsprache. Ja, ich spreche sie, und heimlich schreibe ich sie auch, und ich fühle mich ein bisschen als Verräter am Neapolitanischen, und darum sage ich mir im Kopf die Formen seines Verbs »können«, potere , auf: i pozzo, tu puozze, isso po’, nuie putimmo, vuie putite, lloro ponno . Mama ist nicht einverstanden mit Papa, sie sagt: »Neapolitaner sind wir und basta.« Ll’Italia sagt sie, mit zwei l als Artikel, mein Italien ist in Amerika, da, wo meine halbe Familie lebt. »Die Heimat ist da, wo du zu essen kriegst«, sagt sie zum Abschluss. Im Spaß erwidert Papa darauf: »Also bist du meine Heimat.« Er will Mama nicht unrecht geben, bei uns erhebt keiner die Stimme, es wird nicht gestritten. Wenn er verärgert ist, legt er die Hand auf den Mund und bedeckt sich das halbe Gesicht.
    M EISTER E RRICO HAT MIR AUFGETRAGEN , das Holz mit Porenfüller zu streichen und zu schmirgeln. Ich schleife die Türen eines Kleiderschranks glatt. Wie viele Kleider besitzt diese Familie eigentlich? Wir machen acht Türen, zwei Einlegeböden, der Schrank heißt »Vier Jahreszeiten«. Heute hat er probiert, wie die erste Tür schließt, und sie passte so gut, dass sie ein Geräusch wie ein Atemzug gemacht hat, die Luft ist von innen entwichen. Ich sollte das Gesicht nah an die Schranktür halten, da habe ich ein Streicheln aus Luft gespürt. Genauso streifen die Geister mir über das Gesicht. Dann hat Meister Errico ihn auseinandergebaut und hat ihn neu überzogen, das ist eine wichtige Arbeit, sie bringt ein ganzes Jahr in Ordnung. Die Schubladen sind aus Buche, die Verbindungen sind Schwalbenschwanzverzinkungen, es macht Freude, sie unter seinen Händen entstehen zu sehen. Immer wieder kontrolliert er die Winkel, schmiert die Gleitschienen, zieht die Schubladen geräuschlos heraus und schiebt sie wieder hinein, wie die Angelschnur im Meer, sagt er, die stumm in seiner Hand hinauf- und hinuntergleitet. Meister Errico, sage ich, Ihr seid ein Wunder, ein angelnder Kunsttischler.
    M EISTER E RRICO KAUFT jeden Tag Il Mattino . Das ist eine Investition, dreißig Lire, er sagt, dass ein Mann wissen muss, was in der Welt passiert. Manche Nachrichten liest er uns vor: Der Statue von Roger dem Normannen vor dem Königspalast ist das Schwert aus der Hand gefallen. In Genua große Prügeleien zwischen der Polizei und den Arbeitern. Meister Erricos Stimme ist laut, die Sachen, die er vorliest, bleiben mir im Gedächtnis. Sonntags geht er angeln, aus einem Ruderboot vor dem Hafen wirft er die Schnur aus. Er sitzt ruhig mitten im Schiffsverkehr bis zum Abend. Lange wartet er, bis die Brasse sich fangen lässt. Eine Brasse, vor dem Hafendeich, kaum zu glauben, unter der schwarzen Schicht des Wassers. Doch, doch, es gibt welche, sagt er, sie sind gewitzt wie die Straßenjungen von Neapel, es braucht viel Geschick, um sie dem Meer zu entreißen. Als Köder muss man Miesmuscheln nehmen, er wird es mir mal beibringen, er sagt: »Ich lern’s dir.«
    B EI UNS KOMMT KEINE B RASSE auf den Tisch, wir sind Sardellenesser. Die Brasse ist ein teurer Fisch, doch er nimmt sich jeden Sonntag eine mit nach Hause und kocht sie in acqua pazza , einem Tomatensud mit Wein. »Mit Erlaubnis des Himmels und des Meeres«, sagt er. Er lebt allein, mit sechzig trägt er immer noch keine Brille, er strapaziert seine Augen,
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