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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition)
Autoren: Erri De Luca
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meinen Arm, zerstreut, sie ist in Gedanken versunken. Das Treppenhaus hallt vom Lärm wider, ein Windstoß aus vielen Luftströmen umweht uns, sie feiern uns und kitzeln uns, drücken uns ihre kalten Neujahrswünsche in die Ohren. Sie haben mich liebgewonnen, ich sie auch. Vielleicht hat sogar Mama es geschafft, rechtzeitig zu kommen, obwohl die Geister anfangs in der Nähe des Körpers bleiben, sie leisten ihm Gesellschaft. Erst später trennen sie sich von ihm und kehren in die Zimmer zurück. Die Tür zur Wohnung des Hauswirts ist nicht geschlossen, drinnen ist es dunkel, Maria stützt sich etwas stärker auf mich.
    Ü BER DER T ERRASSE HAT SICH ein Feld aus bunten Lichtern in der Luft ausgebreitet, von Terrassen und Balkonen wird geschossen, die Leute feuern Raketen ab, und es ist noch nicht Mitternacht. Ich versuche, die Arme für den Wurf aufzuwärmen, sie sind schon bereit, sie brauchen das nicht, der Bumerang gibt Stromschläge ab, er reibt sich an meiner Handfläche, seine Kraft ist meine, ich will so viel davon einsetzen, dass es mir den Arm abreißt: welchen? Rechts oder links: links, auf der Seite des guten Auges, das geschlossen bleiben wird. Ich betrachte die Sterne, die am Himmel aufgegangen sind, suche den, den ich über dem Vulkan gesehen habe, ich erkenne ihn wieder, er zittert stärker als die anderen. Ich zeige ihn Maria mit der Spitze des Bumerangs, das ist Osten, ich ziele in diese Richtung. Maria geht zur Brüstung und stützt sich mit den Ellenbogen darauf, um in die Ferne zu blicken, sie hört zu und hört auch nicht, es muss der Wein sein, die Müdigkeit, das Blut. Rafaniello kommt, die Flügel stecken unter einer Decke, in die Jacke passten sie nicht mehr hinein. Don Rafaniè, wie geht es Euch? Er antwortet nicht, umarmt mich mit der Wärme des Federkleids, sagt sehr leise zu mir: »Saj gesunt« , dann streift er sich die Schuhe ab. Don Rafaniè, seht Ihr den Stern dort, der Bumerang, und Ihr fliegt unter ihm vorbei, er bahnt Euch den Weg mitten durch die Raketen. Maria steht reglos und blickt über die Brüstung, sie dreht sich nicht um. Und da ist auf einmal Mitternacht, Neapel fängt an zu brennen, schießt, schleudert weg, wirft Zeug auf die Straße, man hört keine Stimme mehr, es ist eine gewaltige Kraft, die sich entlädt, die sich in die Luft, auf die Erde, gegen die Mauern werfen will. Ich drücke den hölzernen Griff, der sich in meiner Hand nicht abgenutzt hat.
    E R VERSENGT MIR DIE H AND , das tut er absichtlich, sonst werfe ich ihn im letzten Moment womöglich doch nicht, er verbrennt mir die Finger, um freigelassen zu werden, ich puste darauf, das macht es schlimmer, ich spanne die Nerven an, der Mund beißt leer zusammen, ich atme tief ein für den Anlauf, hole mit dem Bumerang hinter meinem Rücken weit aus, schließe das gute Auge, spähe in einen Himmel, der vor Lichtern zittert wie das Meer im August vor Sardellen, ich muss heftig ausatmen wegen des Brennens an den Fingern, mit einem glühenden Ende reißt sich der Bumerang los, ein Reißen in den Knochen, ein Schwung wie nie zuvor, das Holz flammt auf, segelt, fliegt, peitscht die Luft, ich habe nichts mehr in der Hand. Hinter mir flattern Laken, aber da sind keine, ich drehe mich um, es ist Rafaniello, die Flügel in ihrer ganzen Spannbreite, die bloßen Füße heben sich in die Höhe, fallen wieder herunter, einmal, zweimal, der Wind wird stärker unter seinen Flügelschlägen, auch die Geister geben ihm jetzt von unten her Auftrieb, so steigt Rafaniello beim dritten Sprung in die Luft und ist auf der feurigen Spur des Bumerangs, und mich umgibt ein Lärm von Schüssen, Knallen, Pfeifen und Kreiseln aus Windstößen, die mit mir feiern wollen, und ich hebe die Arme und nehme ein letztes Mal Schwung zum Abschied.
    I CH BERÜHRE DIE W URFHAND , keine Verbrennungen, sie ist kühl, auf dem Boden die Decke von Rafaniello, zwei Federn und ein Paar Schuhe mitten in der Schießerei, den aufsteigenden Raketen, den Knallern gegen die Wände, Montedidio dröhnt, ich öffne das gute Auge, Maria schreit, denn da ist ein Schatten über ihr, ich laufe zur Brüstung, packe den Schatten an den Schultern, die Arme brennen vor Kraft, reiße ihn von Maria und vom Boden los, werfe ihn fort, ich werfe ihn so heftig fort, dass er fliegt, er fliegt nach unten, er fliegt von der Dachterrasse von Montedidio mitten durch die Sintflut aus alten Töpfen und Tellern, die von den Balkonen geworfen werden, alles fliegt vom Dach Montedidios fort, wir
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