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Montedidio: Roman (German Edition)

Montedidio: Roman (German Edition)

Titel: Montedidio: Roman (German Edition)
Autoren: Erri De Luca
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davon, wir holen sie uns zurück, indem wir schnell gehen, nur wenige Menschen wagen sich so weit hinaus, amerikanische Soldaten mit Gummischuhen rennen vorbei, der Flugzeugträger im Golf ist das einzige Schiff, das sich auf dem Meer mit weiß zerrissenen Wellenkämmen nicht bewegt. Maria betrachtet die amerikanischen Soldaten, sie sagt: »Ein schöner Menschenschlag ist das, aber sie rennen, sie laufen für nichts und wieder nichts, ohne Grund. Bevor wir anfangen zu rennen, muss uns schon ein Erdbeben aus dem Haus treiben.« Marì, lass auch uns rennen. »Noò«, macht sie und holt mich mit dem Arm zurück auf ihr Schritttempo.
    A UF DER M OLE DER M ERGELLINA pfeifen die Leinen der Segelschiffe, die Hunde erschrecken, sie verstecken sich unter den Fischerbooten, die auf dem Trockenen liegen. Nur wir beide gehen allein auf die Mole mitten im dunklen Meer. Die großen Steinblöcke des Deiches schleudern Wasser in die Luft, die Welle schlägt auf, spritzt in die Höhe und zerstäubt eimerweise. Der Bumerang unter der Jacke bebt in der stürmischen Luft, er überträgt seinen Strom auf meinen Körper, ich möchte ihn gegen das Meer werfen, gegen den Tramontana, den Flugzeugträger, gegen alles, was sich bewegt, wo doch Mama es nicht kann, sie kann sich nicht bewegen. Haltet alle still, rührt euch eine Minute lang nicht mehr: Hätte ich doch einen Funken Stimme in der Kehle, damit man mich hören könnte, sodass der Wind meine Stimme über der Stadt ausbreitet und sie eine Minute lang stillsteht. Maria hält meinen Arm fest gedrückt, ich löse mich nicht von ihr, öffne nicht den Knoten der Hand vom Griff des Bumerangs. Der Leuchtturm am Ende der Mole ist der Punkt, der am weitesten von der Stadt entfernt ist, wenn man sie von dort aus betrachtet, wie sie als Viertelmond hingestreckt daliegt, sieht sie aus, als ob sie stillsteht. Da bin ich zufrieden, sie bleibt eine Minute lang ruhig. Ein paar Lichter flimmern von der Insel gegenüber, von den Küstenstädten, Neapel in unserem Rücken wird vom Wind zugedeckt, und man hört es nicht. Ich schlucke aus Trauer salzige Luft, Maria sagt: »Lass uns umkehren.«
    P APA KOMMT ZUM A BENDESSEN nach Hause, findet den Wein vor, und bevor er sich etwas zum Trinken eingießt, erklärt er, sucht im Italienischen: »Solange sie gelebt hat, hab ich über ihr Leben gewacht, Tag und Nacht hab ich sie dem Tod weggerissen«, er trinkt einen Schluck und sagt schroff: »Nun kann ich nichts mehr machen.« Maria nickt, ich bin schon froh darüber, dass er seinen Frieden sucht, er hat Mama bis zum Ende ihrer Atemzüge begleitet, weiter wollte er nicht gehen, nicht mal bis auf den Friedhof. Er gießt sich noch ein Glas ein, fragt, ob wir auch trinken wollen, Maria sagt Ja, ich Nein. Sie nippt zum Probieren vom Glasrand, Papa sagt zu ihr: »Chillo nun è ’nu surso, è ’nu respiro, tu accussì sfotti ’o vino« , das ist kein Schluck, das ist bloß ein Atmen, so machst du dich lustig über den Wein, Maria macht es mit einer Drehung des Handgelenks wieder gut. Wir essen leise, man hört die Geräusche aus den anderen Wohnungen, Papa trinkt, fährt sich mit der Hand übers Gesicht, reibt sich die Stirn, »danke fürs Abendessen«, er steht auf, sagt uns Gute Nacht. Im Bett liegen wir nah beieinander, ohne uns zu umarmen. Sie sagt, dass bei ihr Blut fließt, aber es ist keine Wunde, es ist ein Austausch, den es bei den Frauen gibt. Sie hat Wein getrunken, damit sich frisches Blut bildet. Bevor sie einschläft, sagt sie mir ihren kostbaren Satz: »Du bedeutest mir was.« Wie üblich weiß ich nicht, was ich zurückgeben soll.
    M EISTER E RRICO UND R AFANIELLO haben sich voneinander verabschiedet, ich war nicht dabei. Es ist der letzte Tag im Jahr, morgen ist Feiertag, darum wird heute hart gearbeitet. Wir schieben das gesamte rohe Holz für die nächsten Werkstücke durch die Hobelmaschine, wir machen Lärm, aber heute achtet die Gasse nicht auf uns. Keiner guckt zur Werkstatt herein, um Meister Errico zu bitten, etwas leiser zu sein, später weiterzumachen, weil einer im Haus diese Nacht nicht schlafen konnte, »nun ha potuto azzecca’ uocchio« , er hat kein Auge zugekriegt. In den engen Gassen versucht man die Maschinen nur zu den Zeiten arbeiten zu lassen, wo sie nicht stören. Heute sind alle Leute mit dem Fest beschäftigt, und keinen kümmert der Krach der Schleifblätter, die ein paar Millimeter von den Brettern abtragen und sie zu Sägemehl zerkleinern. Meister Errico kontrolliert die
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