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Monster (German Edition)

Monster (German Edition)

Titel: Monster (German Edition)
Autoren: Benjamin Maack
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können, wenn sie sich mit einem Todkranken anfreunden. Während ich die Splitscreenfunktion ausprobiere und drei weitere Programme auf den riesigen Schirm hole, führt der übergewichtige Moderator im puddinghaften Leierton aller Niederländer ein Flüsterinterview mit einer ebenfalls übergewichtigen Frau, die in einem weißen Krankenbett liegt. Das soll pietätvoll wirken, führt aber nur dazu, dass die Regie den Ton so weit aufdrehen muss, dass man das Desinteresse des Kamerateams mithören kann. Um die beiden Akteure herum stehen viel zu viele, viel zu protzige Blumensträuße. Mit diesem Arrangement wollen die Macher der Show den Zuschauern signalisieren, dass es sich bei der Kranken um einen sympathischen Menschen handelt, der die Liebe und Freundschaft der Zuschauer genauso wert ist wie jeder andere. Später entdecke ich zwei der Sträuße bei einer anderen Visite des Moderators im Hintergrund.
     
    Du denkst nicht daran.
    Du denkst an nichts.
    Du liegst auf dem schmalen Gästebett und denkst nicht daran.
    Dein Blick verliert sich im Zimmerdunkel.
    Du denkst nicht an das komische Aquarell von einem Haus zwischen Tannen, das an der Wand hängt. Nicht an die getäfelte Zimmerdecke.
    Du denkst an nichts.
    Nicht an die Wand, das Bild.
    Nicht an die Decke.
    Du bist gar nicht hier.
    Du denkst nicht an den schmalen Spalt zwischen den Tapetenbahnen, nicht an die Stelle, wo das Muster für den Bruchteil eines Millimeters aussetzt.
    Daran zu denken wäre besser als an den schmalen Spalt zwischen den Pobacken des Nachbarmädchens, aber nicht besser als an nichts.
    Nichts ist besser.
    Du denkst an nichts.
    Du denkst nicht daran, wie dein Penis brennt, jedes Mal wenn du die empfindliche Haut hochschiebst. Nicht daran, wie die Vorhaut taub wird. Immer schon. Wie es Dinge gibt, an die man sich einfach nicht gewöhnen kann. Das Zerren, Schieben, Quetschen, Brennen. Die Schmerzen.
    Du denkst daran, nicht daran zu denken.
    Dann passiert es endlich. Dann wird dein ganzer Kopf hell wie ein Kurzschluss.
    Als würde eine sanfte Druckwelle deinen Kopf leeren und nichts als Licht zurücklassen.
    Als würde dein ganzer Verstand innerhalb einer Blitzsekunde in das Stück Fleisch in deiner Faust und zurück teleportiert. Und für diesen kurzen Moment bleibt in deinem Kopf nur diese Helligkeit. Nur dieses kurze Aufatmen. Diese Erlösung. Als dürfte deine Seele für einen Augenblick ihren Körper verlassen.
    Dann versuchst du den Moment zu packen, wie du das Ding gepackt hältst. Aber wenn du damit anfängst, ist er schon längst weg. Ist er immer.
    Es bleiben nur ein wenig Sperma an deinen Fingern und etwas Blut in deiner Hand.
    Das Wunderbäumchen mit den Alienhänden macht mir ernste Sorgen. Es ist fast kahl. Einige der Knospen sind aufgeplatzt, klebrige braune Fasern hängen heraus. Der Baumarzt hat sich noch immer nicht gemeldet. Ich streiche über die Rinde, flüstere dem Baum ein paar aufmunternde Worte zu. Genau. Öfter mal mit Pflanzen sprechen. Alles klar.
    Weil es nichts gibt, was ich für das Bäumchen tun kann, wässere ich die anderen Pflanzen. Aus der türkisen Handbrause, die ich an den ebensofarbenen Gartenschlauch angeschlossen habe, verteilt sich ein feuchter Nebel über die Pflanzen. Ein Miniaturregenbogen begleitet die feinen Wassertröpfchen, die sich auf den Blättern zu dicken, sonnendurchsponnenen Perlen zusammentun. Jeder Strauch hat andere Blätter, andere kleine Skelette, die sich vom Stängel bis in die Spitze verästeln, eine andere Oberfläche, einige rauer, andere glatter, manchmal mit einem weichen Pelz behaart. Die Blätter unterscheiden sich sogar bei Gewächsen der gleichen Art, von Pflanze zu Pflanze. Und auf jedem Blatt führen die Tropfen einen anderen Tanz auf.
    Als ich fertig bin, wirkt alles im Garten satt und grün, nur das Bäumchen scheint in der Sonne zu verbrennen. Es wird sterben, denke ich und überlege, wie man einen Baum rettet, was man tut, wenn es zum Schlimmsten kommt. Ich weiß, wie man einen Menschen rettet. Ich habe die Krankenhausserien gesehen. Herzmassage, Röhrenschnitt, Defibrillator, Organtransplantation, Strahlentherapie. Aber wie man einen Baum wiederbeleben soll, zeigt einem keiner. Ich habe mal davon gehört, dass ein Mann seinen Schäferhund Mund-zu-Schnauze zurück ins Leben geholt hat, und bin erschrocken, wie wenig wir mit Bäumen gemein haben.
    Ich will gerade ins Haus gehen, um im Internet nach Erste-Hilfe-Maßnahmen für Bäume zu schauen, als nebenan eine Tür
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