Monster (German Edition)
unruhigen Nacht stehe ich wieder vor dem Baum. Ich habe beim Einschlafen an ihn gedacht. Ich habe beim Aufwachen an ihn gedacht. Auf dem Rasen liegen neue Blätter. Er hat es schon wieder getan. Der Garten liegt noch im Schatten zwischen seinen hohen Hecken, der kurze Rasen ist angenehm kühl und stopplig unter den Füßen. Ein merkwürdiger Druck liegt auf meiner Brust. Meine Hände stecken in Gartenhandschuhen. Wie um bei dem, was als Nächstes kommt, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
Die Sonne klettert über die Hecken. Bevor die Strahlen auf irgendwas anderes fallen, streifen sie die oberen Äste der halbkahlen Baumkrone. Und dann passiert es. Die Blätter öffnen sich in dem orangegelben Licht. Öffnen sich echt. Ganz zaghaft. Einmal entlang ihrer Achse klappen sie auf und fangen ein leuchtendes Grün. Erst jetzt fällt mir ihre besondere Form auf. Die Blätter sehen aus wie Gefieder oder die Hände von sanftmütigen Außerirdischen.
Ein Wagen kommt die Auffahrt des Nachbarhauses hoch. Autotüren werden aufgestoßen und zugeschlagen. Ein Hund bellt. Dann ist da eine Mädchenstimme.
»Ich halte das echt nicht aus«, mault sie. »Schaut mich an. So kann ich mich wohl kaum im Freibad sehen lassen.«
»Das ist in ein paar Tagen wieder abgeklungen«, sagt ein Mann. »Wenn wir drinnen sind, macht deine Mutter dir Umschläge. Du hast es eben einfach übertrieben.«
Unbeeindruckt fährt der Baum damit fort, seine Blätter zu öffnen. Ohne darüber nachzudenken, mache ich eine Geste, die bei einem Menschen bedeutet hätte, dass er kurz warten soll, und spähe durch einen Spalt in der Hecke. Das Mädchen trägt nichts als einen Bikini. Sie hat einen ziemlichen Sonnenbrand. Ihre Haut ist knallrot, sieht aber trotzdem gut aus. Irgendeine Lotion verleiht ihrem ganzen Körper einen seidenen Glanz. Ich habe noch nie einen so kleinen Bikini gesehen. Der Stoff, der ihren Po bedecken soll, hat sich in die Ritze verkrochen. Nichts zu sehen als ein dünnes Bändchen, das vorne ein Stoffdreieck über den Schritt zieht.
Damit es nicht scheuert, denke ich.
Um ihre Klamotten nicht mit der Creme einzusauen, denke ich.
Ich will daran riechen, denke ich.
Eine weiche Verpackung, ein paar Knochen, Muskeln, eine Handvoll Organe. Ich hatte als Kind kein Haustier und erwische mich ständig dabei, wie ich es kaum fassen kann, dass so wenig Material schon ein lebendiges Wesen mit eigenen Vorlieben und Plänen ergeben kann. In Unterhose und Socken liege ich auf dem weißen Ledersofa und sehe fern. Diana hat es sich auf meinem Bauch bequem gemacht. Die Augen zu Schlitzen verengt, sorgt sie dafür, dass ich einen bestimmten Punkt zwischen ihren Augen kraule. Irgendwo ist da ein kleines Gehirn zwischen den spitz zulaufenden Eichhörnchenohren, das einen Gedanken dazu fasst, wie ich mit meinen Fingerspitzen in sanften Kreisen durch ihr langes Fell streiche.
Diana ist eine Norwegische Waldkatze, grau getigert mit weißen Pfoten, vielleicht das Doppelte von einem fetten amerikanischen Stadtparkeichhörnchen und mit einem absurd buschigen Schwanz, der so groß ist wie der Rest ihres Körpers.
»Vorsicht mit dem Katzenfell. Es ist sehr empfindlich. Bei Problemen: Herr Weber. Aus Wellington, K&S«
Sie rutscht auf mir herum, bis sich ihr biegsamer Körper mit meinem Rippenbogen arrangiert hat. Im Rhythmus ihrer gurgelnden Schnurrgeräusche fährt sie ihre Krallen in meine Brust und zurück in die Pfoten. In den ersten Tagen hat sie sich noch vor mir unter den Möbeln versteckt. Mittlerweile geht es. Auch wenn ich nicht viel Erfahrung mit Tieren habe, kann ich Diana gut leiden. Ich rede mit ihr. Gut, dass sie nicht Funny, Schnurri oder Tapsi heißt. So klingen meine Selbstgespräche ein bisschen weniger wie Selbstgespräche.
Wir sehen fern.
Wir sehen indische Musikvideos. Klick.
Eine äthiopische Nachrichtensendung. Klick.
Eine peruanische Quizshow.
Wir fangen uns einen neuen Satelliten – auf dem Dach verändert die Schüssel mit einem Surren ihre Ausrichtung – und sehen eine moldawische Familienserie. Klick.
Kakerlakenrennen. Familienzusammenführung in irgendeiner Steppe. Vermummter Mann, der ein automatisches Gewehr vor der Kamera schüttelt. Heimwerkershow, in der ein Haus aus plattgedrückten Hundefutterdosen gebaut wird. »Das ist einfach genial«, wiederholt der Moderator immer wieder in gebrochenem Englisch.
Wir bleiben bei einer holländischen Sendung hängen, bei der die Kandidaten fünftausend Euro gewinnen
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