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Monica Cantieni

Monica Cantieni

Titel: Monica Cantieni
Autoren: Grünschnabel
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schlecht war von den drei Portionen und von ihrem Haarlack, den meine Mutter auch verwendete. Sie türmte ihr Haar auf wie sie, sie verwendete dasselbe Kölnischwasser, und sie waren sich darüber einig, mit welchem Waschpulver man diese Blusen und jene Röcke waschen musste, nur dass die Nachbarin eine Vorliebe für Blusen hatte, die meine Mutter nicht einmal mit Sonnenbrille ertrug.
    Sie beugte sich über den Sessel, in dem die Nachbarin saß.
    – Mach doch Licht.
    Er zog die Gardinen auf, öffnete die Fenster. Wir blinzelten in die Sonne und sie sagte:
    – Mein Gott, was für eine Farbe. Und erst dieses Muster: nicht zu fassen.
    Für mich gab es nichts zu tun. Während meine Mutter die Nachbarin wusch, fiel ich fast vom Stuhl, weil ich mich an die Sonne anlehnte. Sie ließ den Staub schweben, sie guckte in die Spiegel und rückte herum, was auf dem Boden lag: den Schatten des Fensterkreuzes, den der Stühle, den einer großen Vase, eines Bücherstapels. Sie sah in die Ecken und sogar unter den Sessel, und als sie genug gesehen hatte, verschwand sie aus dem Fenster. Ich blinzelte, mein Vater schaute mir ins Gesicht.
    – Na, ausgeschlafen? Sich unter dem Bett zu verkrieche n – es ist halb so wild. Nimm ihn mit.
    Er deutete auf den Vogel
    – Füttere ihn. Er gehört jetzt dir. Wenn die Verwandten anrufen, sag ihnen, dass für alles gesorgt ist.
    Die Verwandtschaft der Nachbarin kam von weit her. Sie war schon unterwegs.
    Sie telefonierte weinend von zu Hause, sie telefonierte von einer Zelle aus, von einer nächsten. An einer Autobahnraststätte schluchzte sie in den Hörer, schnäuzte sich, und jemand schrie, fragt, hier raus oder bei der nächsten. Es klingelte ununterbrochen, und ich musste mich wiederholen. Sie riefen an, um zu erfahren, wie es der Nachbarin ging, und ich sagte ihnen allen, dass sie tot ist und alles voller Pietät, meine Mutter sie wäscht und mein Vater kocht, so sicher wie das Amen in der Kirche und so gut wie im Himmel.
    – Wir fahren wie der Teufel, sagten sie.
    Sie haben nicht viel Zeit. Die Nachbarin will Asche werden. Sie muss in einer Dose unter die Erde.
    Vorhänge wurden zurückgezogen, die Leute legten sich auf Kissen ins Fenster, kratzten sich am Kopf, grüßten die, die vor dem Haus stehen blieben, den Kopf schüttelten wegen der Autos, die mit röhrenden Auspuffen in die Straße bogen und sich auf den Bordstein stellten. Bei der Ankunft Hupen, Motorengeheul und Türenknallen. Dann das Fluchen, Weinen, das Rascheln von Papier im Flur. Meiner Mutter war zum Heulen zumute. Aber was sollte sie machen? Die kamen von weit her, hatten Lilien mitgebracht, Wein, knirschende Gladiolensträuße, die sie in den Händen drehten, bis die ersten Blüten abfielen und meine Mutter sagte: Kommt herein.
    Neben meinem Bett stapelte sich mein Geburtstagsgeschenk: das dickste Lexikon in fünfzehn Bänden. Auf dem Band A bis BAU sprudelten Zähne in einem Glas. Ich schlief nicht allein. Bei mir lagen zwei Schwestern der Nachbarin. Eine links und eine rechts. Sie waren so breit, dass das Bett quietschte, wenn sie Luft holten. Im Flur lagen Onkel und Söhne, im Wohnzimmer weitere Verwandte; ein Menschenteppich in Socken und Mänteln, die Hüte ins Gesicht geschoben. Die Gladiolen standen in Putzeimern, und im Flur stapelten sich Kränze wie Autoreifen. Lilienduft stand in den Räumen, klebte im Gaumen, ließ sich nicht vertreiben, süß und schwer wie die beiden Tanten, die schnarchten. Das Zahnglas zischte, und das Bett knurrte. Mich hatten die beiden vergessen, sie fassten sich bei den Händen, immer wieder nass von Tränen.
    Meine Mutter nahm eine Tablette gegen das Himmelelend. Sie öffnete der Blondierten von nebenan die Tür, in deren Arm ihre drei Hunde kläfften, und schlug ihr die Tür vor der Nase wieder zu. Später ging sie mit Kuchen und zwei Gästen zur Blondierten hinüber, drängte ihr Kuchen und Gäste auf, weil sie nicht wusste, wohin mit ihnen. Es waren ausgesuchte Gäste; die eine auch blondiert. Gemeinsame Interessen können das Eis brechen.
    Im Flur war Gerenne. Alle in Schwarz. Alle in bester Stimmung. Die Nachbarn grüßten meine Mutter: Eine schöne Beerdigung. Und meine Mutter grüßte zurück: Viel zu teuer.
    Einige Nachbarn hatten vergessen, dass sie mit mir nicht zurechtkamen. Sie fassten mir ins Haar. Die Blondierte allen voran, und sie ließ mich ihre Hunde streicheln.
    – Wenn der Tod im Spiel ist, sagte meine Mutter, sehen die meisten die Dinge nicht mehr so eng.
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