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Mondsplitter

Mondsplitter

Titel: Mondsplitter
Autoren: Jack McDevitt
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Zeit erreichte der Schatten des Mondes die nordamerikanische Wasserscheide. Die Vögel an den Ufern der Laguna del Llano wurden still. Der Schatten glitt über die Sierra Madres und die ausgedehnten, halbtrockenen Ebenen und drang, während die Spätaufsteher frühstückten, nach Texas vor. Wie immer herrschte starker Verkehr an den Grenzstationen Piedras Negras und Eagle Pass, aber selbst hier verstummten schlagende Lastwagentüren und dröhnende Sattelschlepper für einen kurzen Augenblick.
    Der Schatten strich zwischen San Antonio im Osten und Lubbock im Westen hindurch. Frühe Besucher des Eröffnungsheimspiels der Rangers gegen die A’s erlebten noch mit, wie es auf dem Parkplatz dunkel wurde. Der Schatten bewegte sich inzwischen langsamer als zu dem Zeitpunkt, da ihn die Passagiere der Merrivale beobachtet hatten.
    In Fort Smith, Arkansas, führten Lehrer ihre Klassen ins Freie, damit sie die zunehmende Dunkelheit miterleben konnten. Auf der Batesville Regional School erklärte ein dort zu Besuch weilender Astronom vom Delmor Planetarium in Little Rock seinem Publikum aus Dritt- und Viertklässlern, wie es zu Sonnenfinsternissen kam, warum die Menschen früher Angst davor hatten und warum man nie direkt in die Sonne blicken sollte.
    Auf siebenunddreißigtausend Fuß Höhe über Springfield, Missouri, holte der Schatten einen speziell umgebauten Frachtjet vom Typ Lockheed C-311 ein, der einem Parallelkurs nach Nordosten folgte. Der Düsenflieger beherbergte ein Sechzig-Zoll-Teleskop und dazugehörige Ausrüstung, ein Team aus sechs Astronomen und eine dreiköpfige Flugbesatzung. Das Teleskop war auf einem Gerüst, das Erschütterungen abfederte, direkt vor der linken Tragfläche montiert und mit Gyros und Sensoren ausgestattet, um sein Ziel fest im Blick zu behalten. Es war kalt in dem Flugzeug, und die Motoren waren sehr laut, viel zu laut für beiläufige Konversation. Die Astronomen benutzten Kopfhörer und Mikrophone. Unter ihren Daunenjacken trugen sie dicke Wollpullover. Das Team hatte die Arbeit aufgenommen, sobald sich die Mondscheibe in die Sonne hineinfraß. Die Zeitspanne der totalen Sonnenfinsternis war jedoch besonders wertvoll. Das Flugzeug, das mit dem dahinrasenden Kernschatten Schritt zu halten versuchte, verschaffte ihnen etwa eine Minute mehr. Der Einsatz wurde vom NASA Goddard Institute for Space Studies gefördert. Er diente mehreren Zwecken: Daten zu sammeln, die dabei halfen, Anomalien der inneren Korona zu erklären; Studien auf mehreren Wellenlängen durchzuführen; aktive Merkmale der Sonnenoberfläche miteinander zu vergleichen, in der Hoffnung, Wechselbeziehungen zwischen koronalen Gasgeschwindigkeiten zu finden. Und noch etwa einem Dutzend weiteren.
    Den Astronomen standen fast sechs Minuten totale Finsternis zur Verfügung. Dann ließ die Dunkelheit sie zurück, überquerte den Mark Twain National Forest und näherte sich St. Louis.
    In Valley Park, einem netten Vorort mit Lattenzäunen und schattigen Rasenflächen, saß Tomiko Harrington an der Tastatur, um die Bilderfassungsdisk ihres elektronischen Spiegelteleskops vom Typ Magenta 764XX einzuschalten, das vorübergehend auf dem Garagendach vor ihrem Observatorium montiert war. Tomiko arbeitete als Systemdesignerin für die Capital Bank and Trust Company von St. Louis. Obendrein war sie Amateurastronomin und hatte sich für heute krank gemeldet.
    Der Morgen war klar und frisch und wie geschaffen für eine Sonnenfinsternis. Zwar hatte man Sturmfronten und bewölkten Himmel vorhergesagt, aber weder das eine noch das andere trat ein. Tomikos Leidenschaft für die Astronomie ging auf eine andere Sonnenfinsternis über Missouri vor sieben Jahren zurück. Das war am 21. August gewesen, an ihrem achtzehnten Geburtstag, und das Ereignis war ihr als Signal erschienen, eine Aufforderung des Kosmos, über die Parties und die Oberflächlichkeit hinauszugehen und ihrem Leben Bedeutung zu geben. Sie kam dieser Aufforderung nach. Heute gehörte sie dem Astronomieclub der Universität an. Sie hatte ein paar Manuskripte für das Planetarium in Forest Park verfaßt und stand im Begriff, ihren Magister an der Universität St. Louis zu machen.
    Heute würde sie die Periode der totalen Finsternis vollständig aufzeichnen. Als eine Freundin sie einmal nach dem Grund fragte, hatte sie keine rechte Antwort gewußt. »Einfach so«, sagte sie schließlich, wohl wissend, daß sie wenigstens eines der Bilder rahmen und an ihre Pinnwand hängen würde, damit
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