Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mondsplitter

Mondsplitter

Titel: Mondsplitter
Autoren: Jack McDevitt
Vom Netzwerk:
leid«, sagte Horace. »Ich war in Gedanken woanders.«
    »Kein Problem, Partner.« Der Mann hatte die mittleren Jahre bald hinter sich. Er war ausgesprochen massig und wirkte wohlhabend. Das schwarze Haar glänzte wie polierte Schuhe, und der Liegestuhl ächzte jedesmal protestierend, wenn der Mann das Gewicht verlagerte. »Ich weiß genau, was Sie meinen.«
    Tiefe Dunkelheit hatte sich auf das Schiff gesenkt. Der Bankier räusperte sich und warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Er mußte den Arm heben, damit sich Licht aus einem Bullauge auf dem Instrument spiegelte. Es war, als wolle er mit der Uhrzeit auch das Ereignis kontrollieren. Die letzten Reste grauen Lichtes verschwanden vom Himmel, und die Korona breitete sich flammend aus, fahl und trübe. Horace hörte, wie sich manche Leute ehrfürchtig unterhielten und andere tief Luft holten.
    Die Sterne tauchten auf, und die Dunkelheit verschlang das Meer.
    »Wunderbare Sache, die Natur«, sagte der Bankier. »Schön.«
    Horace nuschelte eine passende Antwort.
    Nach etwa einer Stunde fand der Vorgang sein Ende. Die Sonnenfinsternis war vorüber, und der Bankier ging zum Frühstück unter Deck. Amy ließ sich nicht blicken, und die Merrivale pflügte weiterhin durch ein graues und aufgewühltes Meer.
    Horace blieb noch lange in seinem Liegestuhl. Eine klamme Kälte war über ihn gekrochen. Als er später über die Decks spazierte, entdeckte er Amy und ihre Tochter mit mehreren anderen Personen an einem Eßtisch. Sie unterhielt sich angeregt mit einem Mann, den Horace tags zuvor beim Turmspringen gesehen hatte. Horace blieb eine Zeitlang stehen, aber Amy blickte nicht ein einziges Mal auf.
    Es schien, als berührte der Schatten, der sich über das Schiff gelegt hatte, das Herz aller Dinge.
     
     
Raumstation L1, Flugdeck der Percival Lowell, 8 Uhr 03
     
    Im Grunde haben wir schon immer gewußt, daß die Kanäle Quatsch sind, daß Percival Lowells Netz miteinander verbundener Linien und die Flächen, die dunkler wirkten, wenn im Sommer das Wasser floß, ebenso eine Selbsttäuschung waren. Adams und Dunham wiesen schon 1933 nach, ehe ich geboren wurde, daß der Sauerstoff auf dem Mars weniger als ein Zehntelprozent des terrestrischen Niveaus erreichte. Das hätte uns eigentlich genügen sollen. Die Leute hofften jedoch weiter, sogar noch bis zu meiner High-School-Zeit in den Sechzigern. Bis Mariner 4 direkt nach Thanksgiving 1964 diese beschissenen Bilder schickte und wir wußten, daß wir das Ende vor uns sahen.
    Rachel Quinns Großvater hatte Astronom werden wollen, aber er besuchte das falsche College, weil es vor Ort war und nicht viel kostete. So blieben ihm nicht viele Möglichkeiten, und schließlich wurde er Buchhalter. Aber er besaß ein wunderbares Teleskop, durch das Rachel die Monde des Jupiters, den Dämonenstern Algol und den Großen Kometen von 2011 erblickte. Und auch sie fand es schade, daß der Mars keine Kanäle zu bieten hatte.
    In diesen Tagen der Startvorbereitung mußte sie oft daran denken: Wie anders wäre diese Mission gewesen, hätte am Ziel jemand gewartet. Willkommen, Leute von der Erde. Na ja, der Mars wies ein paar primitive Lebensformen auf, aber nichts, das von Rachels Eintreffen Notiz nehmen würde.
    Sie fragte sich, warum das Bedürfnis, andere Lebewesen zwischen den Lichtern des Himmels zu finden, so ausgeprägt war. Tatsächlich schien niemand zu erkennen, um wieviel sicherer die Menschen alleine waren.
    Der Start sollte in zweiundzwanzig Tagen erfolgen. Sonnenlicht brannte durch die Fenster und glänzte auf dem silbernen Bug der Lowell. Sie befanden sich hier auf der Lagrange-eins-Station, volkstümlich unter dem Kürzel L1 bekannt, auf einer Position zwischen Erde und Mond, achtundfünfzigtausend Kilometer über der Mondoberfläche. Und man war zum Aufbruch bereit. Man hatte den Nuklearreaktor des Schiffes in der Mojave-Wüste und auf einer Umlaufbahn um den Mond getestet; die Navigationssysteme waren bereits fest auf den Mars eingestellt; die Vermessungseinrichtung war verladen; die Ersatzteile waren an Bord, und die Videobibliothek befand sich an Ort und Stelle. Einer der Techniker hatte die Steuerschaltungen darauf programmiert, Rachel jeden Morgen eine Variante der Frage zu stellen: »Ist es schon soweit?«
    Die NASA hatte Schulkinder aus der ganzen Welt dazu aufgefordert, dem nukleargetriebenen Schiff, das zum Mars fuhr, einen Namen zu geben. Der Gewinner sollte eine Reise hinaus zur L1 erhalten, wo er zusammen mit den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher