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Mømø im Legøland

Mømø im Legøland

Titel: Mømø im Legøland
Autoren: Arne Piewitz
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sinnvoller wäre es wahrscheinlich gewesen, ich hätte mich mal ein bißchen aufmischen lassen — von einer dieser vielen Second-Hand-Ausgaben praller Weiblichkeit namens Carmen, die ja momentan zu Tausenden zwischen Winsen an der Luhe und Freising am Inn durch die Gegend tänzeln...
    Nein, bitte nicht ablenken. Ich will mich mit mir selbst versöhnen. Dazu muß ich mein Phantasia in Ordnung bringen. Und wenn alle anderen Leute das gleiche tun, dann ist auch die kranke Welt bald wieder kerngesund.
    Phantasia zerfällt, im Gegensatz zum dreigeteilten Gallien Cäsars, in nur zwei Herrschaftsgebiete: das Reich des Guten und das Reich des Bösen. Das Reich des Bösen muß man ausgrenzen, angreifen und besiegen. Erst dann ist der Seelenfrieden garantiert. Das ist wie im wirklichen Leben.
    Das Reich des Bösen ist alles, was mich für klein, schwach und dumm hält. Die Aufgabe lautet: Wie werde ich dort als Machtfaktor anerkannt? Ganz einfach: Indem ich mich mit einem positiven Helden identifiziere. Das macht mich zu einem wertvollen Bewohner im Reich des Guten, wenn nicht gar zum Kaiser. Groß, stark und klug.
    »Genau das ist es«, sage ich laut, als müßte ich noch irgend jemanden von diesem Gedankengang überzeugen.
    Ich bin ganz sicher, daß es funktioniert: In meinem Bett liegend kann ich ein anderer werden, genau wie BBB auf dem Speicher der Schule.
    Aber was, wenn ich das Bett verlasse?
    BBB schafft wenigstens eine Annäherung an seinen Vater — na ja, der hat sich auch Sorgen gemacht um das Ausbleiben seines Sohnes. Ich bezweifle, daß ein Gespräch mit meinem Vater möglich ist, auch, wenn ich mein Phantasia bestens in Ordnung gebracht habe. Mein Vater weiß zu genau, wo das Reich des Bösen liegt, der amerikanische Präsident hat es für ihn ausgekundschaftet: Hinter dem eisernen Vorhang.
    Und BBB’s unendliche Geschichte endet, bevor er wieder zur Schule muß. Bastian Balthasar Bux ist noch genauso fett, fehlsichtig, feige und fade, so gestört und gedemütigt, so klein, komplexbeladen und kaputt wie immer. Und »die anderen« lauern schon auf ihr Opfer, denken sich neue Teufeleien aus, sind bereit, ihn zu quälen. Die wissen ja nicht, daß er in Phantasia war an diesem Wochenende, daß er sich verändert hat. Die können seinen Eskapismus nicht begreifen und schon gar nicht akzeptieren.
    BBB’s Gespensterlektüre verändert die kranke Welt nicht im geringsten. Oder ist zu erwarten, daß der öde Knabe nun ein Brotmesser zückt, die sadistischen Lehrer absticht, die brutalen Mitschüler in trillernde Glühwürmchen verzaubert, in seinem Zuhause einen Palast aus Marzipan errichtet und die Schule in Schutt und Asche legt? Nein, sein Martyrium wird sich fortsetzen.
    Das einzige, was sich verändert hat, ist seine Tagträumerei. BBB kann für sich in Anspruch nehmen, seine Routine im Geschichten-Erfinden ein wenig verfeinert zu haben. Aber das ist natürlich auch schon was.
    Ich schwinge mich aus dem Bett.
    Mein Gott, wenn ich doch nur nicht so einsam wäre.
    Und dann kotze ich, daß man es gar nicht beschreiben kann.



37.

    Sonntag früh. Die Nacht hat sich gelohnt.
    Gut, diese Gegend der Stadt ist kein Wohngebiet, das macht die Aufgabe leichter. Trotzdem können wir mit dem Erreichten zufrieden sein. Es ist Sonntagmorgen, und der gerade Weg reicht nun vom Friedhof bis zum Horizont. Wir sind nicht behelligt worden, kein Polizist hat versucht, den Fortgang der Arbeit zu unterbinden. Wir sind immer mehr geworden, im Lauf dieser Nacht, die Sympathisanten opferten ihren Schlaf und erschienen mit Hacken und Schaufeln, mit Baggern und Brecheisen, mit Plastiksprengstoff und Vorschlaghämmern. Dazu die Ökobrigade mit Setzlingen und Samenkörnern, mit ehemaligen Weihnachtsbäumen und frischen Rosenstöcken. Sogar ein intakter Pflug von 1901 befindet sich im Einsatz, gezogen von einem echten biodynamischen Pferd. Ein »Kommando Alfred Brehm« ist erfolgreich in ein Tierversuchslabor eingebrochen und hat die befreiten Lurche, Meerschweinchen und Spanferkel in den Furchen ausgesetzt.
    Alle sind überzeugt, das Notwendige zum richtigen Zeitpunkt zu tun und mit Emphase bei der Sache.
    Da wird eine Schneise durch die Stadt geschlagen, schnurgerade, etwa dreißig Meter breit, ein radikaldemokratischer Grünstreifen, aus Eigeninitiative des Volkes entstanden und natürlich selbstverwaltet.
    Links und rechts der Schneise halbierte Bürohäuser, weggebaggerte Autos, eingeebnete Litfaßsäulen. Die Dresdner Bank hat einen
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