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Mømø im Legøland

Mømø im Legøland

Titel: Mømø im Legøland
Autoren: Arne Piewitz
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einsperren, alle, ohne Ausnahme. Das ist Freiheitsberaubung!«
    Aber das beeindruckt niemanden. Peggy hat Tränen der Freude in den Augen und dichtet: »Zu Kreuze kriechen die Athleten und lernen endlich richtig beten!«, andere tanzen oder liegen sich in den Armen. Gabi blitzt Hunderte von Fotos, der blutverschmierte Manni improvisiert ein Feuerwerk, und Volki verteilt seine Visitenkarten. Der Friedhof ist der fröhlichste Ort der Stadt.



35.

    Ich setze die Abendmahlsweinflasche an den Hals und mache sie alle. Verlasse das Pfarrhaus, hole meinen Aldi-Wagen aus der Garage, suche TrotzMømøki, finde ihn schlafend auf einem Familiengrab, schnalle ihn an. Wir ziehen durch das Spalier der Feiernden, geradeaus über den Friedhof, und hinter uns rotten sich die Leute zusammen und folgen.
    Im Namen des Vaters Abrißunternehmer und des Sohnes Abrißunternehmer und im Geiste aller Abrißunternehmer wird der Friedhofszaun rausgerissen und abgerissen und durchgerissen und vollständig niedergerissen.
    Die Menge ist nicht mehr zu halten.



36.

    Bastian Balthasar Bux, das kaputte Kind, versteht, daß nicht nur Phantasia krank ist, sondern auch die Menschenwelt. Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Eigentlich hatte BBB es schon immer gefühlt, ohne sich erklären zu können, warum es so war. Er hatte sich nie damit zufriedengeben wollen, daß das Leben so grau und so gleichgültig sein sollte, so ohne Geheimnisse und
    Wunder, wie all die Leute behaupteten, die immer sagten: So ist das Leben! Aber nun weiß er, daß man nach Phantasia gehen muß, um beide Welten wieder gesund zu machen. Und daß kein Mensch mehr den Weg dorthin kennt, das liegt an den Lügen und falschen Vorstellungen, die durch die Zerstörung Phantasias in die Welt kommen und einen blind machen.
    Auch BBB hatte dazu beigetragen, daß es so schlimm um Phantasia stand. Und er wollte etwas tun, um es wiedergutzumachen ...
    Ich spüre, wie mir schon wieder mal die Augen feucht werden. Wie schön dieser BBB sich ausdrücken kann, und wie recht er hat. Das ist eine echte Führungspersönlichkeit in einer orientierungslosen Szene!
    Die Menschenwelt ist krank — das kann ich nur unterschreiben: Wachsende Umweltzerstörung, wachsende Staatsmacht, wachsende Arbeitslosigkeit, wachsende Rationalisierung, wachsende Überwachung, wachsendes Industriepotential, aber auch erkennbare Grenzen des Wirtschaftswachstums, und vor allem: wachsende Kriegsgefahr — das wächst einem alles über den Kopf. Und das macht auch mein Phantasia krank.
    Ich weiß — auch ich habe dazu beigetragen, daß es so schlimm steht um die Welt, und gerne würde auch ich meinen Beitrag dazu leisten, um wiedergutzumachen, um eine Wende herbeizuführen. Aber wie? Jeglicher Optimismus, das wuchernde Wachstum in den Griff zu kriegen, liegt im Koma.
    Ich erinnere mich sehr gut an die Zeit der kritischen Analyse, an die Randale in den Straßen, auch an den langen Marsch durch die Institutionen. Immer bin ich dabeigewesen — aber immer vergebens, nichts vermochte die Gesellschaft letztlich zu verändern. Der einzelne Mensch wird stetig unbedeutender, hat immer weniger Einflußmöglichkeiten, schrumpft zu einer Ziffernkombination auf der Datenbank.
    Ich empfinde die bestehenden Verhältnisse als widerstandsfähig wie Stahlbeton.
    Und das über allem schwebende anonyme Vernichtungspotential, das mich und jeden und alles mit endgültiger Auslöschung bedroht, paralysiert meinen kleinen Rest an Energie, der noch auf eine Veränderung hinarbeiten will.
    Aber da ist noch diese Sehnsucht — sie greint und quengelt. Da ist noch diese Wut — sie nagt und quält.
    Und da ist auch noch dieser Haß — der lacht manchmal und räsoniert sich durch die Krise.
    Das bißchen Sehnsucht, die Prise Wut, das Quentchen Haß zusammengefaßt ergeben dieses elende Unbehagen in mir, und mehr nicht. Aber ich weiß ganz genau, daß dieses Unbehagen mir das Leben vergällt und daß es mein eigentlich positives Selbstgefühl entscheidend beeinträchtigt. Ich könnte ja nun ständig mit einer Leichenbittermiene durch die Gegend laufen — aber offen zur Schau getragene Resignation — »wahrlich, wahrlich, ich sage euch: alle Hoffnung auf eine Änderung der bestehenden Verhältnisse kann begraben werden« — gilt nicht als salonfähig in meinem Umfeld. Also habe ich die begrenzte freie Auswahl.
    Hinein in die Anpassung, wieder lieb sein, Schlips umbinden und Karriere machen? Kommt nicht in Frage. AAA wird fortschrittlich
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