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Mörderischer Stammbaum

Mörderischer Stammbaum

Titel: Mörderischer Stammbaum
Autoren: Stefan Wolf
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dem Schirm nach hinten trug. Die Sonne
blendete. Trotzdem sah er den Taubenschwarm.
    Wie eine gefiederte Wolke
stoben 20 oder mehr Tauben im Steilflug in die Höhe. Die Luft rauschte. Der
Start war offensichtlich plötzlich erfolgt — hinter einer Gruppe dichter
Büsche, schlappe 50 Schritte entfernt.
    „Ph!“ machte der TKKG-Häuptling
und fiel in ein sieggewohntes Mittelstreckentempo.
    Seine Freunde trabten
hinterher, aber er umrundete als Erster die Büsche.
    Was er sah, verschlug ihm den
Atem.
    Ein Taubenmörder hatte soeben
gewütet.
    Zwei tote Tiere lagen auf dem
Rasen — enthauptet, geköpft. Der Mann hielt einen meterlangen Stab in der Faust
— vermutlich eine Eisenstange. Denn leicht war das Instrument nicht. Das
verriet die Bewegung.
    Er war groß, bullig, trug
Turnschuhe, Jeans und eine schenkellange Jacke aus gewachstem, grünem Stoff.
Auch der Schädel war bullig. Zwischen den Dumpfbacken hing ein blonder
Schnurrbart.
    Bei Tim, dem Tierfreund,
brannten die Sicherungen durch.
    Mit dem Schrei „Das sind meine
Lieblingstauben!“, stürmte er los auf den Kerl.
    Der glotzte verblüfft, begriff
dann die Bedrohung und schwang zur Abwehr seine Eisenstange.
    Ein Hieb. Blitzschnell duckte
sich Tim drunter weg. Mit der Schulter rammte er den Schmerbauch. Gleichzeitig
schmetterte die rechte Karate-Faust volle Pulle auf den Schnurrbart. Der
Tiermörder überkugelte sich auf der Wiese. Bäuchlings blieb er liegen — mit dem
Gesicht auf dem abgeschlagenen Kopf einer Taube.

    „Ja! Gib’s ihm! Dieser Sadist!
Dieser Tierquäler!“
    Gaby taumelte gegen ihren
Freund, totenbleich, hatte Tränen in den Augen und ihre Stimme nicht mehr unter
Kontrolle. Die Kehle zitterte. Die Worte klirrten.
    Tim hatte beide Fäuste geballt
und hoffte, dass der Fight noch nicht zu Ende sei. Nein, das wäre zu wenig
Strafe gewesen für diesen Kerl.
    Aber der blieb liegen, stöhnte,
kroch einen Meter, stöhnte abermals und hob dann den Kopf.
    In abgewandte Richtung
stammelte er: „Aufhören! Aufhören! Ich... bin Inspektor. Ich bin von der
Stadtverwaltung. Ich handele mit Recht.“
    „Was?“, fuhr Tim ihn an. „Eine
blödere Ausrede fällt Ihnen wohl nicht ein, wie?“
    „Doch! Es stimmt. Es ist mein
Auftrag. Wisst ihr das nicht? Ich wette, ihr wisst es. Aber ihr gehört
sicherlich zu dieser Petra Delius. Die lässt nicht nach mit ihrem Zoff. Zur
Hölle mit dem Weib!“

2. Im Kriminalmuseum
     
    Graue Wolken drückten auf die
österreichische Hauptstadt, auf Wien. Sturm war angesagt, und Petra Delius war
ein bisschen besorgt. In knapp vier Stunden würde sie ins Flugzeug steigen, um
in ihre Heimatstadt — in die TKKG-Stadt — zurückzufliegen. Hoffentlich wurde es
ein ruhiger Flug und die Maschine schaukelte nicht so.
    Petra flog nicht gern.
Flugangst. Aber dagegen muss man/frau sich wehren. Petra überwandt sich immer
wieder. Mit Übelkeit im Bauch und Angstschweiß auf bleicher Stirn stieg sie in
die Maschinen.
    In Wien hatte sie eine Freundin
besucht. Johanna leitete ein Tierasyl. Heute war dort Hochbetrieb, Notfälle
waren angesagt, und Johanna musste vor Ort sein. Aber am Morgen hatte sie
Petras Flugkoffer zum Airport gefahren und in die Aufbewahrung gegeben.
    Petra wurde also durch kein
Gepäck behindert, als sie die verbleibende Zeit nutzte und durch die Stadt
bummelte. Vier Stunden — die wollte sie nicht im Café hinter einer Tasse
Melange verdösen. Nein, sie ließ sich treiben, folgte den malerischen Gassen in
einem der ältesten Viertel — ohne genau zu wissen, in welchem Bezirk sie hier
war — und entdeckte dann, schicksalhafterweise, ein graues Gebäude mit
schmalen, hohen, vergitterten Fenstern.
    ,Kriminalmuseum’ stand über dem
Eingang.
    Dort war auch eine Tafel mit
den Öffnungszeiten, und Petra dachte: warum nicht?
    Ein altes Portal mit
Glaseinsatz. Vorraum. Schwingtür. Hinter dem Tresen ein ältlicher Typ, der
gerade ein Wurstbrot aus dem Papier wickelte.
    Er biss ab, verlangte 20
Schilling für die Eintrittskarte, auf der er einen Fettfinger-Abdruck
hinterließ, und zwinkerte Petra zu. Aber das war ein Augenfehler, kein
Anmache-Versuch, wie Petra nach kurzer Verblüffung feststellte. Der Oldie war
jenseits von gut und böse.
    „Möchten Sie einen Katalog?“,
fragte er.
    „Fürchte ich mich, wenn ich den
zu Hause aufschlage?“
    Er lächelte und zwinkerte
wieder. „Das hängt von Ihnen ab. Der Katalog ist sehr ausführlich. Kostet 150
Schilling.“
    „Soviel habe ich noch übrig.“
    Sie steckte
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