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Mörderischer Stammbaum

Mörderischer Stammbaum

Titel: Mörderischer Stammbaum
Autoren: Stefan Wolf
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Tim
verblüfft. Dann begriff er. „Hat er hier einen verloren?“
    Helga nickte und lächelte
kläglich.
    Karl holte ein Papiertaschentuch
aus seiner Windbreaker-Jacke. Es war wie ein Päckchen gefaltet und enthielt
einen Zahn. Einen menschlichen Zahn, etwas gelb verfärbt. Es war einer der
vorderen Zähne aus dem Unterkiefer.
    „Den hat er sich an Frau Helga
ausgebissen“, erläuterte Karl. „Natürlich nicht am Arm oder an der Schulter.
Frau Helga ist ja nicht aus Holz. Aber beim ersten Biss wollte er ihr offenbar
die Zähne ins Handgelenk schlagen. Dabei ist er aufs Metallband der Uhr
gekommen. Und knacks! — der Zahn steckte dann im Sweatshirtärmel.“
    In die Schulter, dachte Tim,
hat er sie also nicht gebissen. Obwohl’s ihr da wehtat, als ich ankam. Offenbar
hat sie sich beim Hinfallen verletzt.
    Er wandte sich Redl zu.
    Der grinste wie Flüssigseife,
öffnete den Mund sperrangelweit und ließ sich hineinsehen.
    Tim bückte sich etwas und
prüfte Redls Gebiss wie ein Zahnarzt, allerdings ohne den Mann zu berühren.
    Beide Zahnreihen waren
lückenlos. Nichts fehlte. Vier Goldkronen schimmerten. Und die Zunge zeigte
einen grauen Belag. Außerdem roch Redl nach Knoblauch.
    „Damit sind Sie aus dem
Schneider“, sagte Tim. „Tut mir leid, dass ich Sie umgestoßen habe. Aber es
hätte ja sein können.“
    „Was ist denn vorgefallen?
Wurden Sie“, Redl wandte sich an Helga, „von diesem Unhold angegriffen — diesem
Beißer?“

    Helga nickte. „Aber er hat
sofort von mir abgelassen. Wahrscheinlich hat ihn der Zahnschmerz vertrieben.“
    Redl sah nicht aus, als werde
er von Mitgefühl übermannt. Er murmelte, damit wäre ja der falsche Verdacht nun
behoben, warf Tim noch einen vernichtenden Blick zu und trollte sich.
    „Hm“, meinte Tim. „Der Beißer
war das offenbar nicht. Obwohl ich Redl zutrauen würde, dass er an weiblichen
Armen nagt. Wie ist es, Frau Hoppenheide? Fällt Ihnen noch was ein zu dem
Täter? Etwas, das zu seiner Festnahme führen könnte?“
    Sie dachte nach, gab sich Mühe,
war aber zu erschreckt gewesen, um irgendwelche Einzelheiten zu beobachten.
    „Den Zahn“, meinte Gaby,
„bringen wir meinem Vater ins Präsidium. Ich glaube, das ist eine tolle Sache
für die Fahndung. Nicht so gut wie ein Fingerabdruck, aber fast.“
    Gabys Vater, Kommissar
Glockner, leitete die Ermittlungen gegen den Unbekannten. Aber leider ging da
nichts voran. Und in der Presse hatte man sich schon kritisch geäußert, ohne
freilich Gabys Vater in die Schusslinie zu nehmen.
    Helga Hoppenheide war jetzt
wieder total bei Fassung und erbot sich, TKKG samt Oskar zum Präsidium zu
chauffieren.
    Den Kids war das recht. Zu
fünft einschließlich der beiden Vierbeiner sohlte man also zum Parkplatz an der
Rieglauer Straße, wo Helga ihren Wagen geparkt hatte.
    Einen Kleinwagen im sogenannten
Kompakt-Format, zugeschnitten auf Single-Haushalte mit Hund. Schon zu zweit
wurde es — personell — eng in dem Wägelchen. Und als sich alle hineingequetscht
hatten, fühlten sich Karl und Klößchen wie Ölsardinen. Tim verdingte sich als
Sitzpolster für Gaby und fand das toll. Ob sie wollte oder nicht — sie musste
sich an ihn schmiegen, denn mehr Raum für Abstand war nicht vorhanden. Zumal
auch Oskar hinten saß, denn den Beifahrersitz beanspruchte Helgas Hündin
Isabella für sich.
    Die Fahrt ging stadteinwärts.
    „Komisch!“, meinte Karl nach
einiger Zeit bewusster Flachatmung.
    „Was amüsiert dich?“, fragte
Tim.
    „Ich kenne den Redl von
irgendwoher.“
    „Von persönlicher Begegnung?“
    „Nein. Das wohl nicht. Das
wüsste ich. Aber, ja, ich glaube, ich habe sein Foto in der Zeitung gesehen.“
    „Was ist er?“ Klößchen gähnte.
„Ein Popidol?“
    „Hahah! Nein! Was noch
Unsympathischeres. Aber ich komme nicht drauf.“
    „Karl!“, flötete Gaby. „Wo
bleibt dein Gedächtnis?“
    „Es ist immer noch vorhanden“,
grinste er. „Aber manchmal geht der Deckel nicht auf. Das passiert den
schärfsten Denkern.“
    „Den Zustand kenne ich“, nickte
Klößchen. „Meistens passiert mir das während der Klassenarbeiten. Wenn ich dann
Tim nicht zum Spicken hätte, wäre ich wohl immer noch in der Grundschule.“
    „Keine Sorge!“, meinte Tim.
„Dich bringe ich auch durchs Abitur. Aber ein Einser-Schnitt wird’s nicht.“
    Gabys Wange berührte ihn dort,
wo er sich ab und zu schon rasiert. „Weißt du“, meinte seine Freundin, „das mit
den Tauben erschüttert mich wahnsinnig. Da müssen wir
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