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Mörderischer Stammbaum

Mörderischer Stammbaum

Titel: Mörderischer Stammbaum
Autoren: Stefan Wolf
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Sträucher flochten sich ineinander. Man musste auf den Wegen
bleiben. Aber es gab viele; und Tim rannte auf gut Glück Richtung Untermühle,
wo sich tatsächlich noch ein Mühlrad dreht und eine verfallene, alte
Wassermühle sich selbst überlassen ist.
    Hinter einer Biegung prallte er
gegen den Mann.
    Die Biegung war scharf. Tim sah
ihn im letzten Moment. Der Weg ist hier schlauchschmal. Ausweichen war nicht
mehr möglich.
    Tim nahm eine Schulter nach
vorn. Ein heftiger Zusammenstoß folgte. Der Mann, der in dieselbe Richtung
wollte, wurde im Rücken getroffen, ging zu Boden und brüllte auf.
    Tim sprang über ihn hinweg,
fuhr herum, warf sich auf den Typ und stemmte ihm ein Knie zwischen die
Schulterblätter.
    „Hah! Das hättest du nicht
gedacht, wie?“
    „Bist du wahnsinnig?“, brüllte
der Typ.
    Er war groß und kräftig. Er
trug Cordhosen und eine modische Wendejacke, die von beiden Seiten regendicht
ist und trotzdem Luft durchlässt. Jetzt trug er die dunkle Seite außen und auf
dem Kopf einen knautschbaren Regenhut, den man — zum Klumpen geballt — auch in
die Tasche stecken kann. Der Hut saß fest.
    Der Mann versuchte sich
hochzustemmen und Tim abzuschütteln. Aber der kniete auf ihm wie 20 Zentner
Blei.
    „Du hast eben die Frau
überfallen, Mann! Kein Widerstand — sonst schlage ich zu. Du kommst jetzt mit
zu deinem Opfer. Damit sie dich identifiziert.“
    „Was ist los?“
    Er schlug hinter sich.
    Tim gab ihm einen leichten
Klaps ins Genick.
    „Du kommst mit, Mann! Ich lass
dich jetzt hoch. Aber keinen Fluchtversuch!“
    „Ich habe niemanden überfallen.
Was soll der Unsinn? Ich gehe spazieren. Ich brauche frische Luft.“
    „Wir werden gleich sehen, was
Sache ist.“
    Tim stand auf. Auch der Mann
erhob sich. Wütend starrte er den TKKG-Häuptling an.
    Hm! dachte der. Ist das der
,Beißer’? Der Typ gefällt mir nicht. Nein, das ist kein gutes Gesicht. Ein
unsympathischer Typ. Also könnte er’s sein. Aber ein Beweis ist das natürlich
nicht. Den muss die Frau jetzt liefern.
    „Mein Name ist Lothar Redl“,
sagte der Mann unaufgefordert. „Ich kann mich ausweisen. Ich bin Fabrikant. Ich
habe meinen Wagen bei der Untermühle geparkt und gehe hier spazieren. Ich habe
niemanden überfallen. Ich konnte nicht ahnen, daß ich hier mit einem Verrückten
zusammenstoße. Sonst wäre ich zu Hause geblieben. Alles klar?“
    Tim musterte ihn. Zwischen
Redls Wulstlippen schimmerte ein Pferdegebiss. Das Gesicht war fleischig. Die
blonden Brauen erinnerten Tim an ausgediente Zahnbürsten. Klößchen benutzte
sein Zahnpflege-Werkzeug immer solange, bis es krumm und schief war. Wie
unsympathisch dieser Kerl ist, dachte Tim. Kalte Augen. Kalter Blick. Ein
höhnischer Ausdruck in den Pupillen.
    „Ein Verrückter bin ich nicht“,
sagte Tim. „Schlimmstenfalls übereifrig. Aber das ist immer noch besser als
zurückgelehnt die Untaten zulassen.“ Er knipste sein — wie er meinte —
dreckigstes Grinsen an. „Sie haben eine schöne Jacke, Herr Redl. Eine Wendejacke,
wie? Innen hell-, außen dunkelblau.“ Und dann flunkerte er aufs Geratewohl:
„Die Frau wurde von einem Typ in hellblauer Jacke überfallen. Also, los! Sie
wissen ja, wo der Tatort ist.“
    „Ich weiß gar nichts, du
unverschämter Lümmel!“, brüllte Redl. „Und meine Jacke trage ich immer so. Die
hellblaue Seite hat Flecke.“
    „Gehen wir!“
    Tim machte eine einladende
Geste, und Redl fügte sich, wobei er allerdings mit den Zähnen knirschte, als
zerbeiße er Nüsse.
    Den kurzen Weg zurück. Am
,Tatort’ standen Tims Freunde und die Joggerin. Oskar war angeleint. Wegen
Isabella, wie Tim später erfuhr, denn die war läufig und Gabys Hund in seinem
Liebesrausch kaum noch zu bändigen. Die Frau lehnte an der Buche und war blass
im Gesicht, hatte aber Schrecken und Schwächeanfall halbwegs überwunden.
    Alle blickten Tim und seinem
Fang entgegen. Redl schritt aufrecht, den Kopf erhoben. Er machte nicht den
Eindruck wie jemand, den man auf frischer Tat ertappt hat.
    „Er heißt Lothar Redl“, sagte
Tim ohne Einleitung. „Und trägt eine Wendejacke, innen hellblau. Könnte er’s
gewesen sein, Frau...“
    Tim sah die Joggerin an.
    Gaby sagte: „Das ist mein
Freund Peter Carsten, Tim genannt. Tim, das ist Frau Helga Hoppenheide.“
    Helga blickte Redl an. Der
starrte zurück.
    „Ich... ich weiß nicht. Er trug
eine... eine dunkle Jacke, glaube ich. Aber er war ja maskiert. Fehlt ihm ein
Zahn?“
    „Ein Zahn?“, fragte
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