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Moerder Im Gespensterwald

Moerder Im Gespensterwald

Titel: Moerder Im Gespensterwald
Autoren: Frank Goyke
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nächste Mal seinen Kumpel Kai abholte, rief er vom Festnetzanschluss der Erdvogels an.«
    »Warum kein öffentlicher Fernsprecher?«, warf Wendel ein.
    »Die Möglichkeit, mit öffentlichen Fernsprechern zu telefonieren, liegt für solche Jungen offenbar so weit außerhalb ihres Bewusstseins, dass sie die nur benutzen, um die Hörer abzureißen. Übrigens ging Kranbauer nicht auf Seans Anrufe ein. Sicher weil ihn die junge Stimme irritierte.«
    »Jetzt müssen Sie uns aber endlich sagen, warum er nur Karina fortschaffte«, drängte der Lorbass.
    Barbara holte erneut tief Luft. »Er wollte das Mädchen ausweiden.« Ein Raunen ging durch den Raum. »Er wollte endlich etwas für seine selbstgetöpferten Kanopenkrüge.«
    Barbara schaute in die Runde und sah überall Kopfschütteln.
    »Letzten Endes hat er es aber nicht getan«, stellte Breithaupt fest.
    »Er sagt, dass er es nicht konnte. Das sei dann doch zu heavy gewesen. Vielleicht stimmt das. Vielleicht war das Messer aber einfach nicht geeignet, einem Menschen durch die Kleidung hindurch einen Y-Schnitt zu verpassen.«
    »Hat er das gesagt? Y-Schnitt?«
    »Ja. Er kennt sich mit Leichen, Obduktionstechniken etcetera bestens aus. Seine Gedanken kreisen ständig um Folter und Tod. Langsames und qualvolles Sterben ist sein größter Wunsch. Eigentlich will er leben, aber nicht mehr so, wie er leben muss.«
     
    Barbara und Uplegger saßen seit geraumer Zeit an ihren Schreibtischen, vermieden aber, einander anzuschauen. Sie trank ein Abschiedsbier, er tippte irgend etwas. Das Fenster stand offen, es regnete in Strömen, und diesmal kühlte sich die Luft sogar ab.
    Für Sean Pinkert und Kai Erdvogel hatte der Richter wegen der Schwere der Tat Untersuchungshaft angeordnet, und beide waren auf dem Weg in die Jugendanstalt Neustrelitz. Die sechs Mittäter aus den drei nordwestlichen Stadtteilen waren von der Schutzpolizei unter der Führung des Lorbass in die Blücherstraße gebracht worden, wo sie gerade vernommen wurden – aber Barbara hatte genug von jungem Gemüse und überließ diese Arbeit anderen. Vor ihr lag die Lichtbildmappe vom Haus der Pinkerts, und nachdem sie sich mit einem letzten Schluck gestärkt hatte, schlug sie diese auf. Sie blätterte, blätterte immer schneller: Es gab keinen Pool! Wenn Sean ihr nun das Leiden unter den Anforderungen seiner Eltern auch nur vorgespielt hatte? Man las davon schließlich ständig in der Zeitung.
    Barbara versenkte die Mappe in ihrem Schreibtisch. Sie musste nicht alles wissen, wollte es gar nicht.
    Nach einer Weile hob Jonas den Kopf und schaute zum Fenster hinaus: »Lutze und ich glauben, dass Sean ein Psychopath ist.«
    »Nein, ist er nicht«, sagte Barbara überzeugt.
    »Wie können Sie das beurteilen? Sie sind nicht vom Fach.«
    »Oh, doch!« Sie zerquetschte die Bierbüchse trotz des Pfandes und zielte nach dem Papierkorb. Der Wurf ging daneben. »Ich bin seit x Jahren mehr vom Fach als irgendwer.«
    »Was ist er dann?«
    »Ein unglücklicher 14-Jähriger mit extremen sadomasochistischen Phantasien.«
    »Und ist das kein Psychopath?«
    »Jonas, wo haben Sie denn Ihren Job gelernt? Doch wohl bei mir! Solche Phantasien haben mehr Männer, als Sie denken. Falls Sie die nicht sogar selbst haben.« Uplegger murmelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart, bestimmt nichts Zustimmendes. »Na ja, und eins ist er noch: ein Mörder. Stimmen wir darin überein?«
    »Keine Frage.«
    »Gut. Und damit Ende der Fahnenstange. Wir brauchen keinen Seelenquark, sondern einen Abschlussbericht. Und mir tun gerade die Finger weh …«
    »Alle?«
    »Ja«, Barbara setzte ihr charmantestes Lächeln auf, »alle zwölf.«

Epilog: Kälteschock
     
    Mit der Hanse Sail war auch die Hitzewelle verschwunden. Es hatte einen regelrechten Temperatursturz gegeben, und nun klagte alle Welt, dass es für die Jahreszeit zu kühl sei. Barbara fröstelte und wünschte sich, die Diplompsychose möge das Fenster schließen.
    »Haben Sie über unser Gespräch nachgedacht?«, fragte die Grünberg, ihren Block auf den Knien.
    »Ich habe über vieles nachgedacht«, erwiderte Barbara. Obwohl sie zwei Liter Wasser getrunken hatte, hatte sie einen furchtbar trockenen Hals. Seit 22 ½ Stunden war sie alkoholfrei. »Das ist nicht nur mein Job, ich tue das für gewöhnlich sogar in meiner Freizeit.«
    »Und worüber, wenn ich fragen darf?«
    »Mir geht immer ein Satz im Kopf herum. Ein Tatverdächtiger hat ihn niedergeschrieben. Ich darf zitieren: ›Das Leben
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