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Moerder Im Gespensterwald

Moerder Im Gespensterwald

Titel: Moerder Im Gespensterwald
Autoren: Frank Goyke
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das Arbeitszimmer des Vaters, das Esszimmer, die große Küche, die beiden Bäder, das Eckzimmer mit der Bibliothek.
    Barbara wurde nicht klug aus ihm. Obwohl es in den Räumen auf den ersten Blick nichts Verdächtiges zu sehen gab, hatte sie das Gefühl, der Junge wollte jemanden bloßstellen – aus Rache? Rache für sexuellen Missbrauch?
    Seans Zimmer hatte zwei schräge Wände, weil es sich unter dem Dach befand. Das breite Fenster eröffnete einen schönen Blick über Getreidefelder, die vom Platzregen allerdings ziemlich ramponiert aussahen – die Bauern hatten, wie jedes Jahr, bereits öffentlich über das Wetter geklagt. Vor dem Fenster stand ein Schreibtisch, auf ihm verteilt ein aufgeklappter Laptop, Schulhefte, Stifte, Kopfhörer und eine Spielkonsole. Leichter Chemikaliengeruch lag in der Luft. Tatsächlich, auf einem beschichteten Tisch in der Ecke befanden sich gleich drei Chemiebaukästen, daneben Reagenzgläser, eine Zange und ein paar Flakons aus braunem Glas.
    »So etwas hatte ich früher auch«, sagte Barbara als vertrauenschaffende Maßnahme. »Am meisten Spaß hat mir gemacht, das Magnesium zu verbrennen. Leider war nur wenig drin.«
    »Klar«, sagte er und lächelte – wie ein Kind. »Das ist bei mir auch zuerst weg. Aber ich mache noch andere Sachen«, fügte er geheimnisvoll zu. Es gab hier Gegenstände, die sein bemüht cooles Auftreten karikierten: der Teddy auf der Schlummerrolle, Matchbox-Autos auf einem Wandregal, ein Plüschhase mit abgeschabtem Fell, der vom Bücherbord herabschaute. Sean schien gern zu lesen, doch als Barbara die Titel in Augenschein nahm, begann wieder die Irritation: Sexualität und Grausamkeit, Die Körperstrafen, Sex und Folter in der Kirche – ungewöhnliche Lektüre für einen 14-Jährigen. Vor allem aber verstörte sie, dass diese Bücher offen, fast provozierend zur Schau gestellt wurden.
    »Hast du das alles gelesen?« Schon beim Gang durchs Haus war sie zum Du übergegangen.
    »Das meiste.« Er setzte sich voll Gleichmut auf die Liege mit Bettkasten. »Ist sehr interessant.«
    »Was?«
    »Folter und so.«
    Auch auf der Liege befand sich ein Buch, wahrscheinlich las er es gerade. Barbara trat näher und betrachtete den Umschlag, auf dem ein Sarkophag abgebildet war, unter der Aufschrift: Bernd Binder (Hrsg.): Altägyptische Bestattungsrituale. Einbalsamierung Mundöffnung Opfer.
    »Du bist ja wirklich vielseitig.«
    »Ägypten ist mein allerliebstes Thema. Seitdem wir mal eine Nilkreuzfahrt gemacht haben. Also wir haben zwei gemacht. Einmal mit Oma und Opa, da war ich acht. Und dann mit den Alten, vor drei Jahren. Das ist total spannend.«
    »Glaub ich gern.«
    »Wissen Sie, die Leute gaffen das an und schreien Ah und Oh, aber die meisten denken gar nicht daran, dass fast alles, was sie da sehen, mit dem Tod zu tun hat. Ich meine, eine Mumie ist eine Leiche!«
    Barbara zögerte einen Augenblick, dann setzte sie sich neben ihn. Er war ein Kind, verdammt noch mal! War er das? Oder ein Monster?
    »Ich schreibe Geschichten«, fuhr Sean fort, »auch über Ägypten. Und das da habe ich gemacht.« Er deutete zum Fensterbrett, wo vier Gefäße standen, die Barbara längst aufgefallen waren. Die krugähnlichen Gebilde hatten eine leicht gewölbte Wand und trugen Deckel mit drei Tierköpfen und einem menschlichen, womöglich auch mit dem eines Gottes. Sean hatte Muster eingeritzt, die Barbara nicht erkennen konnte, weil sie zu weit entfernt saß.
    »Erklär sie mir«, bat sie.
    Er stand auf, trat näher und zeigte auf das linke Gefäß: »Man nennt sie Kanopenkrüge, und die alten Ägypter haben darin die Organe der Mumien aufbewahrt. Die Deckel stellen die Horussöhne dar; das hier ist Duamutef, er bewacht den Magen.« Sein Finger wanderte von Krug zu Krug. »Dann kommen Hapi für die Lungen, Amset für die Leber, Kebechsenuef für die Eingeweide. Ich habe mir von meinem Opa ein Buch über Hieroglyphen gewünscht, ein richtiges, also wissenschaftliches. Wenn ich die kann, ritze ich welche ein.«
    »Und du hast diese Krüge wirklich selbst … getöpfert?«
    »Ja«, er lächelte wieder und strich die störrische Strähne aus der Stirn, »aus Ton. Noch sind sie nur an der Sonne getrocknet und ungebrannt, aber das schaffe ich auch noch.«
    »Du bist ein Künstler«, lobte Barbara und meinte es ernst.
    »Na ja, mir fehlen noch Erfahrungen …« Sein Lächeln veränderte sich, wurde verschlagen, gefährlich …
    »Aber es sind doch keine Eingeweide in diesen Krügen?«,
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