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Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)

Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: C. S. Forester
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1
    Marjorie ahnte nichts von der drohenden Katastrophe, als sie vom Bahnhof kommend den Harrison Way entlangging. Es war ein friedlicher Sommerabend, und der sanfte Wind, der raschelnd durch die Blätter der kleinen Blutbuchen fuhr, die den Wegesrand säumten, kühlte die Luft angenehm, ohne dass es kalt wurde. Die Sterne am Himmel leuchteten hell und freundlich. Marjorie hatte keine dunklen Vorahnungen.
    Sie war durchaus daran gewöhnt, auch einmal einen Abend ohne ihre Kinder zu verbringen, und machte sich keinerlei Sorgen um sie. Seit Anne sieben Jahre alt war, konnte man sich darauf verlassen, dass sie tief und fest schlief, sobald sie im Bett lag, und Derrick, der noch keine vier war, machte kaum alle sechs Wochen einmal Schwierigkeiten, und da die Kinder Dot beide liebten, waren sie sicher ohne Murren zu Bett gegangen. Für Dot, die nur untätig das Haus hüten konnte, war der Abend vermutlich langweilig gewesen, doch vielleicht war Ted schon aus dem Billardsalon zurück und hatte sie erlöst, sodass sie bereits zu Hause bei Mutter war – aber irgendwie schienen Dot die langweiligen Abende sogar zu gefallen, denn sie hatte schon oft gesagt, dass es ihr nichts ausmache, das Haus zu hüten, wenn die Kinder im Bett waren, und sie wollte auch nie, dass Mutter sie begleitete und ihr Gesellschaft leistete bei ihrer einsamen Aufgabe.
    Majorie hatte den Ausflug heute Abend genossen. Sie war in der Stadt gewesen, um Millicent Dunne zu besuchen.Gemeinsam hatten sie in einem italienischen Restaurant zu Abend gegessen – von einem Kellner bedient und mit einer kleinen Karaffe Chianti dazu –, und danach waren sie in Millicents kleines Ein-Zimmer-Apartment an der Victoria Station zurückgekehrt und hatten Stunde um Stunde geredet, so lange, bis Marjorie sich schließlich beeilen musste, um einen der letzten Züge nach Hause zu erwischen. Neidlos, aber doch mit einer gewissen Neugier verglich Marjorie ihr ruhiges Leben in der Vorstadt mit dem Millicents als ledige Frau mitten in London, ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau mit Millicents interessanter Stelle als Sozialfürsorgerin in einer Fabrik. Millicent war mittlerweile eine erfahrene und gewandte Frau von Welt, doch – eines Tages würde sie eine alte Jungfer sein. Derrick und Anne entschädigten sie vollauf dafür, dass sie auf einen Beruf verzichtet hatte, fand Marjorie; und außerdem hatte sie sich ohnehin nie für intelligent genug gehalten. Millicent war schon in der Schule stets die Klügere gewesen.
    Im Flur brannte Licht, wie Marjorie durch die Scheibe über der Haustür sehen konnte, als sie die Pforte erreichte, doch im Wohnzimmer war es dunkel. Vielleicht war Dot in der Küche und machte sich einen Becher Kakao; denn dass Ted so viel früher nach Hause gekommen war, dass er noch Zeit gehabt hatte, sie zu verabschieden und ins Bett zu gehen, war höchst unwahrscheinlich. Marjorie schloss die Tür auf und rief leise »Hu-hu«, so wie sie es immer tat. Keine Antwort. Und dann, sie hatte den Fuß kaum über die Türschwelle gesetzt, roch Marjorie Gas. Der Flur stank geradezu danach; und als sie am Fuß der Treppe innehielt, hörte sie ganz deutlich das Zischen ausströmenden Gases.
    Marjorie ließ die Handtasche fallen und stürzte zur Küchentür. Die Küche lag im Dunkeln, und als sie die Tür öffnete,schlug ihr der stechende Geruch des Gases geradezu ins Gesicht. Marjorie tastete nach dem Lichtschalter. Sie war klar genug im Kopf, um sich eine Sekunde lang zu fragen, ob es gefährlich wäre, in einer solchen Situation das Licht anzuschalten, sich dann aber sogleich zu versichern, dass nur Streichhölzer oder Kerzen eine Explosion auslösen würden. Im hellen Licht der Küche sah sie die blau-weiße Tapete aufscheinen, und sie sah Dot, in ihrem hübschen Sommerrock auf dem Boden daliegen, den Kopf im offenen Gasherd.
    Marjorie stieß einen kleinen Schrei aus, und im nächsten Augenblick revoltierten auch schon ihre Lungen gegen das in sie einströmende Gas. Sie zwang sich, die Übelkeit zu unterdrücken, und hielt den Atem an. Rasch lief sie zum Herd hinüber und drehte den Gashahn zu; den Atem immer noch angehalten, riss sie das Küchenfenster auf, und dann beugte sie sich zu Dot hinunter, um sie aufzuheben. Doch Marjorie konnte den Atem nicht länger anhalten. Ein jähes Schnappen nach Luft füllte ihre Lungen mit noch mehr Gas, und ihr wurde schwindelig. Sie konnte Dot so nicht aufheben. Es kostete sie all ihre Kraft, in den Flur zu wanken, wo der
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