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Moerder Im Gespensterwald

Moerder Im Gespensterwald

Titel: Moerder Im Gespensterwald
Autoren: Frank Goyke
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überraschend hatte er auch Mitleid.
    »Das ist ja eklig!«, rief Kai.
    »Aber es floss doch Blut?«
    »Nicht so viel.«
    »Und dann tauchte plötzlich diese Familie auf? Und Sean sagte wahrscheinlich, die müssen auch weg, damit die Bullen euch nicht schnappen?«
    »Das musste er nicht sagen.«
    »Wie? Das verstehe ich nicht.«
    »Wir haben einfach weitergemacht.«
    Uplegger brauchte frische Luft. Gemeinsam mit Lutze verließ er den Raum und bat einen Schutzpolizisten, den Jungen zu bewachen. Er trat ins Freie, ging ein paar Schritte in Richtung Straße und hob den Blick zu einem schwefelgelben Himmel. Die Windstille und die drückende Hitze kündigten das nächste Gewitter an.
    Aus Richtung Lütten Klein kam ein Streifenwagen, der auf das Reviergelände bog. Uplegger schaltete sein Smartphone ein, aber er hatte weder einen Anruf bekommen noch eine Textnachricht. Als er sich umdrehte, kam Lutze mit einem Zettel in der Hand aus dem Gebäude.
    »Mir kam so ein Gedanke«, sagte er, »eine vage Erinnerung an eine Weiterbildung.«
    »Ach?«
    »Ist schon eine Weile her, ich war noch bei der Kripo in Itzehoe. Es ging um psychisch gestörte Straftäter. Das Erste, was wir lernten, war, dass man nicht mehr Psychopath sagt.«
    »Das ist auch bis nach Rostock gedrungen«, entgegnete Uplegger. »Wenigstens soll man es in Anführungszeichen setzen.«
    »Oder so. Also, der Dozent erklärte uns, dass dieser Begriff aus differentialdiagnostischer Sicht … ich weiß nicht mehr genau, aber das war sein Lieblingswort: differentialdiagnostisch. Keine Ahnung, was er meinte. Kurzum, es gibt keine Psychopathen mehr, aber eine Psychopathie-Checkliste, mit der noch gearbeitet wird. Eine Art Widerspruch in sich, nicht wahr? So, ich hab mal ins Internet geguckt. Hier ist die Liste.«
    Uplegger nahm sie etwas widerwillig entgegen:
    Psychopathie-Checkliste nach Hare
    Interpersonelle Auffälligkeiten: Überheblichkeit, Gefühlskälte, dominantes Verhalten, übersteigertes Selbstwertgefühl, betrügerisch-manipulatives Verhalten.
    »Sie denken an Sean?«
    »Genau. Wir könnten aber doch eigentlich Du sagen?«
    »Später!«
    »Okay. Jedenfalls treffen die Kriterien von Das-sagt-man-nicht ziemlich genau.«
    »Aber er ist erst 14!«
    »Irgendwann muss ein Psycho ja anfangen«, meinte der Lorbass schulterzuckend.
    ***
    Barbara hatte einiges zu organisieren: die Spurensicherung, den Abtransport von Beweismitteln zur Kriminaltechnik, eine polizeiliche Begleitung von Frau Pinkert auf dem Weg in die Klinik und die Überführung von Sean in die KPI. Inzwischen war auch der Staranwalt eingetroffen, aber er legte keinen Widerspruch ein, er sagte überhaupt nichts, sondern saß nur mit den Händen vor dem Gesicht in einer Pergola neben dem Haus und schüttelte fast unablässig den Kopf.
    Barbara hingegen war dermaßen in ihrem Element, dass Ann-Kathrin nach einer Weile zu ihr sagte: »Das machst du ja perfekt.«
    »Was? Transporte organisieren? Das können wir Deutschen doch.«
    Als alles in Papier und Tüten war, begaben sich die beiden Frauen zum Wagen. Barbara überließ das Steuer der Bellissima und blätterte sich durch die Erzählungen, die Sean verfasst hatte. Zweifellos besaß der Junge Talent. Er verfügte über eine ziemlich suggestive Sprache. Seine Geschichten spielten alle in Ägypten, doch das war lediglich die Kulisse für eine schwelgerische Darstellung von Folterszenen. Sie fuhren auf die Stadtautobahn.
    »Wie liest es sich?«, fragte Ann-Kathrin.
    »Man wird ganz schön auf die Folter gespannt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Gerade beschreibt er, wie jemand auf der Streckbank verrenkt und zugleich mit Fackeln gepeinigt wird.«
    »Das ist ja krank! Wobei, wenn man seine Taten bedenkt, sollte uns das vielleicht nicht überraschen.«
    »Ich weiß nicht recht.« Barbara überflog weitere Seiten. »Ich werde den Eindruck nicht los, dass er sich selbst meint.«
    »Wen auch sonst? Er sieht sich in der Rolle des Folterknechts, der über Schmerz, Leben und Tod entscheidet.«
    »Eben nicht. Ich glaube, er träumt davon, gefoltert zu werden.« Barbara stopfte die Blätter in ihre Tasche, sie hatte genug davon. »Ganz langsam, bis er stirbt.«
    »Das ist ja noch kränker«, meinte Ann-Kathrin und trat heftig auf die Bremsen, denn an der Ausfahrt Evershagen staute es. »Und passt das eigentlich zu dem, was er getan hat? Er hat doch wahrscheinlich getötet.«
    »Ich denke, es könnte insofern passen, als er sich in die Rolle des Opfers hineindenkt. In
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