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Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen

Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen

Titel: Modesty Blaise 09: Die Lady fliegt auf Drachen
Autoren: Peter O'Donnell
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versuchen, die Medien fernzuhalten, bis wir uns einig sind, wie wir die Sache behandeln wollen. Vielleicht können wir euch ganz aus dem Spiel lassen.»
    «Dafür wären wir sehr dankbar.»
    In ihren Augen liegt ein gequälter Ausdruck, dachte er und sagte laut: «Sie haben ziemlich viel mitgemacht.»
    «Nein. Wir sind nicht verletzt worden, und es ist uns nicht wirklich schlecht ergangen.» Sie sah Willie an. «Warten wir auf dem Balkon, bis es Zeit zum Abflug ist. Du könntest dich ein wenig hinlegen, Willie. In letzter Zeit hast du nicht viel geschlafen.»
    «Klingt gut, Prinzessin.» Er lächelte und nahm ihren Arm; er wußte, was sie bedrückte. Es war nicht das, was ihnen in den beiden letzten Tagen widerfahren war. Während ihres ganzen Lebens war, soweit Modesty sich zurückerinnern konnte, die Angst ihr ständiger Begleiter gewesen, und sie hatte sich daran gewöhnt. Doch jetzt, da die Gefahr vorüber war, wurde sie von ihrer Phantasie gequält, von den Bildern jener Menschen, die auf dem Richtplatz gestorben waren, Menschen, die anders als sie selbst und gegen solche Schrecken nicht gefeit und gewappnet waren. Man nehme eine Frau wie Gwen Westwood oder Maria Cavalli, lasse sie den Schock der Entführung und der Gefangennahme erleben und die Qual, in den Händen von Beauregard Browne und seinen Genossen zu sein. Man drücke ihr schließlich einen Revolver in die Hand und stelle sie auf den Richtplatz, wo sie den schreienden Priester mit den fanatischen Augen langsam auf sich zukommen sieht, um sie zu töten. Für den Durchschnittsmenschen, Mann oder Frau, der niemals mit Gewalt in Berührung gekommen, der allein und wehrlos und hoffnungslos ist, mußte das Grauen entsetzlich gewesen sein.
    Willie Garvin wußte, was Modesty jetzt tun würde.
    Sie würde, während er schlief, auf dem Balkon sitzen und auf den Platz hinabschauen und würde alle jene gräßlichen Bilder heraufbeschwören. Sie würde sich vielleicht, wenn er erwachte, zu ihm wenden und eine Weile lautlos an seiner Schulter weinen. Dann würde sie die Tränen trocknen, die Augen schließen und mindestens eine Stunde lang in einen Tiefschlaf versinken. Und damit würde alles für sie vorüber sein. Aus.
    Die Gespenster gebannt, die quälenden Bilder verjagt, die Vergangenheit ausgelöscht.
    Als sie den Fahrstuhl erreichten, fragte Larry Houston hinter ihnen: «Wurden Browne und Solon in diesem Bürgerkrieg getötet? Die Soldaten haben keinen von beiden gefunden.» Sie blieben stehen und wandten sich um. Willie kniff nachdenklich die Augen zu. Modesty biß sich auf die Unterlippe. Sie schauten einander an, dann sagte Modesty: «Als wir ausbrachen, war alles vorbei, aber Willie meint, daß die beiden in einem Boot wegfuhren.»
    «Und ihren Streit beendeten?»
    «Das ist schwer zu sagen.»
    «Glauben Sie, daß es einen Sinn hat, nach ihnen zu suchen?»
    Langsam schüttelte sie den Kopf. «Ich glaube, es lohnt nicht, Mr. Houston. Ich bin sicher, daß Sie die beiden nicht finden werden.»
    Der schmale Mund über dem breiten Kinn verzog sich plötzlich zu einem Grinsen. «Fein», sagte Houston.
    «Tarrant sagte, Sie seien verläßlich.»

15
    «Wenn es etwas gibt, das ich nicht leiden kann», sagte Judith Rigby, «dann sind es diese gräßlichen Gesangsproben in der eiskalten Halle.»
    «Es dauert ja nur eine Stunde, Liebling», meinte ihr Mann tröstend. «Du hättest dir etwas Wärmeres anziehen sollen.»
    «Danke, George. Nächstes Jahr werde ich daran denken.» Sie sah sich in der Halle um. «Ich stelle fest, daß hohe Herrschaften uns mit ihrem Besuch beehren.»
    «Weil John Cranwell sie einlud. Es fehlten uns ein paar Sänger.»
    Der Pfarrer beendete sein Gespräch mit dem Pianisten und sagte: «Meine Damen und Herren, könnten wir nochmals ‹Es ist ein Ros entsprungen› probieren? Dann legen wir eine Kaffeepause ein.»
    Die dreißig Männer und Frauen, die in einem Halbkreis um ein niedriges Podium standen, hoben ihre Noten, der Pianist spielte die Einleitung und das Lied wurde gesungen. Unter die Stimmen in der Dorfhalle mischten sich der ausgezeichnete Bariton von Sir Gerald Tarrant und der schöne Mezzosopran von Lady Janet Gillam. «Danke, meine Damen und Herren, das war sehr hübsch», sagte der Pfarrer. «Nach dem Kaffee werden wir ‹O Tannenbaum› und ‹Adeste fideles› proben.»
    Die Sänger entspannten sich, und man begann zu plaudern. Der Pfarrer trat zu einem dunkelhaarigen Mädchen in einem Ledermantel. Sie stand in einer Gruppe
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