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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen
Autoren: John Saul
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kichern: »Geht
hier irgendwas ab, von dem ich nichts weiß?«
Laurie zwinkerte ihr verschwörerisch zu. »Er glaubt immer
noch, dass in dem Haus gegenüber Hexen und Vampire
wohnen«, kicherte sie.
»Glaube ich nicht!«, schnaubte Ryan, wurde aber rot dabei
und strafte so seine Worte Lügen.
Jetzt hob auch Caroline den Blick zu dem Gebäude
gegenüber, und plötzlich begriff sie.
Das Rockwell.
Es war ein riesiges altes Gebäude, das so viele verschiedene
Architekturstile in sich vereinigte, dass es von den Bewohnern
der Stadt liebevoll der »große alte Bastard von Central Park
West« genannt wurde. Dass es eines der ältesten Bauwerke der
Gegend war, sah man schon an den Natursteinmauern, die nie
gereinigt worden waren – zumindest nicht, soweit Caroline
sich erinnern konnte. Die gesamte Fassade war nahezu schwarz
vom Schmutz der Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Als
Caroline an dem alten Gebäude hochsah, fühlte sie sich
plötzlich an ein Haus in New Hampshire erinnert, wo sie
aufgewachsen war. Es war sehr groß – jedoch bei weitem nicht
so groß wie das Rockwell, schließlich war es als Einfamilienhaus konzipiert worden – aber die Mauern bestanden aus
denselben Natursteinquadern wie die des Rockwell, und es war
genauso schmutzig gewesen. Von der Familie, die es einst für
sich gebaut hatte, war nur eine alte Frau übrig geblieben, die
nun allein in diesem großen Herrenhaus lebte, inmitten eines
gänzlich verwilderten Gartens, der nicht minder unheimlich
wirkte wie das Haus selbst. Unter Caroline und ihren Freunden
galt es damals als unausgesprochene Tatsache, dass die alte
Frau eine Hexe war, und dass jedes Kind, das dem Haus zu
nahe kam, auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde.
Anscheinend hatte die Geschichte von der Hexe in dem alten
Haus an der Ecke den weiten Weg in diese Stadt gefunden,
überlegte Caroline, während ihr Blick über die Fassade des
alten Wohnhauses wanderte. Sie konnte förmlich hören, wie sie
und ihre Freunde den jüngeren Kindern der Nachbarschaft im
Flüsterton diese Schauergeschichten erzählt hatten. »Da muss
ich mich doch ernsthaft fragen, wie Ryan auf so was kommt«,
meinte sie und fixierte Laurie mit einem wissenden Blick.
Jetzt war die Reihe an Laurie, rot zu werden. »Das sind doch
nur Ammenmärchen«, wiegelte sie ab und sah ihren Bruder
verächtlich an. »Die glaubt doch kein Mensch.«
»Sind es nicht!«, blaffte Ryan. »Jeff Wheelers sagt –«
»Jeff Wheelers ist eine Memme«, schoss Laurie zurück.
»Ist er nicht! Er ist –«
»Was haltet ihr davon, wenn wir jetzt in den Park gingen?«,
mischte sich Caroline ein, ehe der Geschwisterzwist eskalierte.
Gnädigerweise tat sich gerade eine Lücke im dichten
Verkehrsstrom auf, so dass sie auf die andere Straßenseite
wechseln konnten. Dort hatten sie noch einen Häuserblock weit
zu gehen, ehe sie den Fußweg nach Tavern on the Green
erreichten. »Sobald wir im Park sind, kannst du vorausgehen,
einverstanden?«, sagte sie zu Ryan. »Lauf nur nicht zu weit
voraus – sonst macht sich deine alte Mutter Sorgen.«
»Ich bin doch kein Baby mehr«, maulte Ryan, musterte
jedoch gleichzeitig das Haus gegenüber mit einem ängstlichen
Blick.
»Natürlich nicht«, besänftigte ihn Caroline. Sie hatten den
Weg in den Park erreicht. »Ich weiß, dass du schon recht
vernünftig bist und auf dich selbst aufpassen kannst. Aber ich
mache mir trotzdem Sorgen um dich und möchte dich im Auge
behalten können. Beim Fußballplatz setzen Laurie und ich uns
auf eine Bank und tun so, als würden wir dich gar nicht
kennen. Wie findest du das?« Ryan schien kurz darüber
nachzudenken und dann zu dem Schluss zu kommen, dass er
wohl nichts Besseres aushandeln könnte. Als er nickend
davonpreschte, rief Caroline ihm noch schnell nach: »He!
Wenn du einen Homerun hinkriegst, dürfen wir dann
klatschen?«
Ryan drehte sich um, winkte und konnte sich ein Grinsen
nicht verkneifen. Dann rannte er weiter. In derselben Sekunde
überfiel Caroline die Angst, sie könnte ihn aus den Augen
verlieren. Doch dann schaute er sich abermals um, stellte
scheinbar fest, dass er weit genug von seiner Mutter entfernt
war, und lief fortan langsamer weiter. Jetzt konnte sie ihm
folgen, ohne den Eindruck zu erwecken, sie jagte ihm
hinterher.
    Der Blick aus Irene Delamonds Fenster hatte sie schon immer
beeindruckt; der Park, der sich unter ihr ausbreitete, gab ihr das
Gefühl, irgendwo in einer idyllischen
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