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Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge

Titel: Mitteilungen an Max über den Stand der Dinge
Autoren: Wolfgang Hildesheimer
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Freund ist, würde eher für die Dürftigkeit
seiner geistigen Anlagen sprechen, wären wir sicher, daß der beste Freund des
Hundes der Mensch wäre, was nicht bewiesen ist. Genaugenommen hätte die
Behauptung über Biß und Bellen ja auch zu bedeuten, daß Hunde, die beißen,
nicht bellen. Daß es also, außer der Einteilung in zweihundertzweiundvierzig
Hunderassen — ich selbst komme immer nur auf zweihundertvierzig, weil ich das
mongoloide Windspiel und den niedersächsischen Triefköter vergesse —, daß es
also außer dieser Aufteilung noch eine andere gibt, nämlich in solche Hunde,
die bellen, und solche, die beißen. Vielleicht halten sich deshalb manche Leute
zwei Hunde, einen, der bellt, und einen, der beißt, was aber insofern müßig
ist, als entweder der Bellende den Angebellten verscheucht, bevor der Beißende
Gelegenheit hat zuzubeißen, oder aber dieser beißt und macht den Bellenden
brotlos, indem er ihm zuvorkommt. Möglicherweise aber erfolgen Biß und Bellen
gleichzeitig, denn der bellende Hund braucht ja dem Opfer nicht so nahe zu
kommen wie der beißende, oder einer tut beides — das sollte möglich sein, es
gibt ja auch Menschen, die beim Kauen sprechen. Vielleicht gibt es aber auch
Hunde, die weder bellen noch beißen, nur fragt man sich dann: wozu der Hund?
Natürlich ist da noch die Jagd zu berücksichtigen, aber das risse ein Gebiet
auf, das mich allzu wenig interessiert, was Du mir nicht verübeln wirst, denn
ich denke, es ist auch Dir fremd. Jedenfalls ist das potentielle Opfer
Pessimist — optimistische Opfer gibt es nur sehr selten und bei uns überhaupt
nicht — und hält es daher für wahrscheinlicher, daß, wie ich , oben erwogen
habe, ein einziger Hund beide Funktionen übernimmt, nämlich das Opfer zuerst
anbellt und dann beißt, oder natürlich umgekehrt — obgleich es dann, vom
Standpunkt des Opfers gesehen, nicht mehr darauf ankommt, ob der Biß dem Bellen
voranging oder das Bellen dem Biß. Vom Standpunkt des Hundebesitzers freilich
sieht die Sache anders aus, für ihn handelt es sich um Rationalisierung, er
erspart sich die kostspielige Haltung eines zweiten Hundes, denn es ist ja
nicht so, daß sich der beißende Hund gleich ein Stück vom gebissenen Opfer
abbeißt. Das heißt, er beißt nicht primär aus Ernährungsgründen, obgleich das
letztere für den Hundebesitzer ohne Zweifel wünschenswert wäre, denn
Hundenahrung ist der Teuerung besonders massiv unterworfen, ein Stück
Hundekuchen kostet das Doppelte des Preises vom jeweiligen Vorjahr, wie mir
neulich der Herr über zwei besonders scheußliche, aber treue illyrische
Blutdoggen versicherte, unaufgefordert, versteht sich.
    Gewiß, schön wäre es, wenn man
dieses höchst ambivalente Sprichwort beim Wort nehmen könnte, so daß ich beim
Bellen des Hundes dort hinten am Waldrand denken dürfte: wäre ich jetzt auf einem
einsamen Spaziergang im Genuß der Nachtluft, so würde mich dieser bellende Hund
jedenfalls nicht beißen. Andrerseits wüßte ich ja nicht, ob neben ihm, in
tiefes Schweigen gehüllt, ein zweiter Hund ungeduldig wartend läge und sich,
keuchend vor Blutrunst, auf das Beißen vorbereitete. Dazu kommt, daß ich diesen
einsamen Spaziergang ja nur machen würde, um die Ruhe der Nacht zu genießen und
ihrer besänftigenden Wirkung teilhaftig zu werden, was der bellende Hund
vereiteln würde. Aber wäre nun alles nächtlich ruhig und friedlich, kein Bellen
irgendwo, und plötzlich träte ein schweigender Hund aus dem Dunkel und bisse
mich, so wäre ich auch wieder nicht zufrieden. Manchmal weiß ich wirklich
nicht, ob ich schwierig bin oder ob alle anderen schwierig sind, nur ich
bin der einfachste Mensch der Welt, oder, sagen wir, einer der
einfachsten, ich erhebe niemals den Anspruch auf Einmaligkeit, vielleicht zu
Unrecht.
     
    Sonst aber ist mein Standpunkt
klar und fest und entschieden, läßt nicht oder ungern an sich rütteln. Ein
luftiger Platz über weichen Matten und triftigen Gründen, hoch und erhaben. Daß
das Erhabene nicht weit vom Lächerlichen angesiedelt ist, habe ich hier noch
nicht zu spüren bekommen.
    Von hier sah ich neulich doch
tatsächlich das Ding an sich. Es lag in einem Dickicht von Rotdorn, Blaudorn,
Hagedorn, Hagebutte, Heilbutte und Männertreu, wie von einem Riesenvogel
abgelegt, in ein umzingeltes Nest, in dem niemand es fände, und ein Denker
schon ganz und gar nicht. Es war einerseits rund, andrerseits eiförmig — Du
kennst ja dieses ewige Einerseits-Andrerseits
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