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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Schranken verweist, das wäre schon ein Ausflug, für den ich zu haben wäre, wenn wir danach fifty-fifty machten. Soweit also die Tagesplanung: leichtes Frühstück, Tankstellenüberfall mit Staatsanwalt Dr.   Römer, abends ein Peeling und dann Qualitätssex (ohne Dr.   Römer).
    Ist das denn zu viel verlangt?

Drei Haselnüsse für Aschenbrödel
    Angeblich braucht es ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen. Leider lässt sich dieses Rezept nicht nahtlos auf drei Kinder und eine Kleinstadt hochrechnen. Nachdem meine Eltern sich zunächst durch ihre Pädagogikstudien massiv verunsichern ließen, verhedderten sie sich in ein paar interessanten Erziehungskonzepten, die sie dann wahllos an uns ausprobierten. Schließlich gingen sie nach dem Ausschlussprinzip vor: Ihre Kinder sollten wichtige Werte des menschlichen Miteinanders vermittelt bekommen,
ohne
einer Kirche anzugehören, einem Sportverein beizutreten oder sich einer sonstigen Organisation zu verpflichten, die affige Kleidung oder die Opferung freier Wochenenden einforderte. So entschieden sie sich also für die Anschaffung eines Videorekorders.
    Noch bevor das Gerät angeschlossen war, erhob es meine Schwester und mich innerhalb der Gruppe unserer Nachbarskinder in einen höheren gesellschaftlichen Rang. Hatte die hyperaktive Brut stets mit Ausflügen des Turnvereins oder den Abenteuern bei Messdienerfreizeiten vor uns geprotzt, so wurden sie jetzt erbarmungslosvon meiner Schwester abgefertigt, wenn sie ihr Totschlagargument anbrachte: »Na und? Ich kann immer   …« – an dieser Stelle pflegte sie eine sensationelle Pause einzulegen, um dann jede noch folgende Silbe auszukosten – »genau den Film sehen, den ich will, wann ich will und sooft ich will.«
    So schön sie die erste Seite des mitgelieferten Werbeprospektes auch auswendig gelernt hatte, so wenig stimmten leider ihre Angaben zu unserem neuen, privilegierten Leben. Denn leider verhielt es sich nicht so, dass unsere Familie sämtliche Möglichkeiten des neuen multimedialen Zeitalters voll ausschöpfen konnte.
    Bei der Erstinbetriebnahme des Rekorders verlor dieser durch einen etwas zu brachialen Knopfdruck gleich eine seiner namengebenden Fähigkeiten: das Rekorden. Aber wenn meine Eltern erst einmal eine neue Errungenschaft in ihr Haus geführt, also zu einem Fremden Vertrauen gefasst haben, lassen sie sich von kleineren Handicaps nicht irritieren. Niemand dachte ernsthaft daran, das defekte Gerät reparieren zu lassen oder es gar umzutauschen. Es wäre zu peinlich gewesen, hätten die Nachbarn von diesem Rückschlag Wind bekommen. Das geplante Aufnehmen von Filmen, die im Spätprogramm liefen, wurde also spontan ad acta gelegt, und meine Mutter zog folgenden Schluss:
    »Wir müssen ja nicht extra versuchen, etwas anzuschauen, bei dem wir im normalen Leben sowieso eingeschlafen wären!«
    Doch so oder so: Normal sollte unser Leben nicht mehr werden.
    In den folgenden Wochen sollte sich zeigen, dass wir uns keinesfalls nur eine Errungenschaft der modernen Technik zugelegt hatten – wir hatten ein neues Familienmitglied gewonnen, das nahezu perfekt die leere Stelle unseres kürzlich verstorbenen Hundes ausfüllte. Denn obwohl »Vidi« weder haarte noch getragene Schlüpfer verschleppte, so hatte er doch andere spezielle Vorlieben, über die wir zunächst gnädig hinwegsahen und dann als gottgegeben akzeptierten. Beispielsweise vertrug Vidi das Abspielen von Kauf- oder Leihkassetten nicht besonders gut. Er erbrach das Material stets kurz vor Beginn des Hauptfilms. Voller Ekel schien er sich zu schütteln, und nicht selten flog die Kassette einige Meter weit aus seinem geöffneten Schlund auf den Teppich zurück. Meine Schwester kroch dann vorsichtig zu ihm unter den Fernseher, streichelte das bebende Gehäuse und murmelte: »Brav, ganz brav. Immerhin hast du dieses Mal keinen Bandsalat gemacht, brav!«
    Die einzige Möglichkeit, Vidi wieder zu beruhigen, bestand darin, ihn mit einem seiner Lieblingsfilme zu füttern. Vidi hatte genau genommen nur einen einzigen Lieblingsfilm, der über die Jahre, wie könnte es anders sein, auch zu unserem Lieblingsfilm wurde. Es handelte sich dabei um eine damals kurioserweise schon uralte Fernsehaufzeichnung unbekannten Ursprungs, die komplett mit Fernsehansager und Werbeunterbrechung aufgenommen worden war. Der eigentliche Film war kein geringeres Werk als der großartige tschechische Märchenfilm »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«,
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