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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
Autoren: Katinka Buddenkotte
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nachgesagt. Meine Schwester gehört nicht zu diesen Menschen. Im Gegenteil – meine Schwester ist so furchtbar ehrlich, dass andere Leute gegen diese Ehrlichkeit aufrüsten. Insbesondere gilt dies für meine Eltern.
    So gelang es meiner Schwester in ihrer Jugend nie, irgendetwas Verbotenes zu tun. Sie konnte einfach nicht anders, als vorher nachzufragen: »Mama, darf ich eine Flasche Whisky mit zum Schulfest nehmen? – Darf ich mir zwei Ratten kaufen, von denen ich nicht ganz sicher bin, ob es wirklich beides Männchen sind? – Mama, darf ich mit der Motorrad-Gang aus der Vorstadt in ihr Clubhaus fahren, die Party dauert drei Tage lang, und da bin ich mir jetzt allerdings sehr sicher, dass alle, die auch mitkommen, Männchen sind.«
    Diese letzte Frage stellte sie an ihrem sechzehnten Geburtstag. Mit fünfzehn durfte sie bis elf Uhr abends wegbleiben. Als besondere Geburtstagsüberraschung wurde ihr von diesem Tag an Ausgang nur bis zwanzig Uhr gewährt. Sie staunte darüber, ich nicht. An jenem Tagbeschloss ich, dass Nachfragen, wenn man vorher noch gar nichts getan hatte, sehr unsinnig war. Also fragte ich im Alter von vierzehn nicht mehr. Auch mit Anregungen und Kritik hielt ich mich zurück. Gern würde ich an dieser Stelle behaupten können, dass ich zu dieser Zeit halt wenig sagte, dafür aber umso mehr machte. Stimmt leider nicht. Ich wartete eher ab und guckte, was passierte. Oder ob etwas passierte. So wollte ich mich für ein paar Jahre schonen, um dann mit Eintritt meiner Volljährigkeit auch mal was zu machen. Es klappte erstaunlich gut, nur meine Eltern machten sich ein kleines bisschen Sorgen darüber, warum ich mich so aktiv wie ein Möbelstück benahm. Es verhielt sich nämlich nicht so, dass meine Eltern uns vor jeglicher interessanter Gesellschaft fernhalten wollten. Nachdem sie recherchiert und erleichtert festgestellt hatten, dass es sich bei der Motorrad-Gang aus der Vorstadt, den legendären »Rebel Devils Gievenbeck«, um ein sehr höfliches polnisches Brüderquartett, nämlich die Bronskis, handelte, welches mangels entsprechender Führerscheine abwechselnd nur ein altes Moped durch Münsters Fußgängerzone schob, erhielten die Devils Einlass in unser elterliches Heim.
    Es waren herzliche, aber ruhige Abende mit den rebellischen Teufeln. Selbst im Vergleich zu mir waren sie sehr ruhig. Meine Eltern verfolgten die Taktik der Überrumpelungsresozialisierung und erreichten damit dramatische Erfolge. Mein Vater kochte Chili con Carne und erzählte dazu peinliche Polenwitze, meine Mutter half den Teilzeitrockern, die Totenkopfembleme aufihren Lederjacken festzunähen, und zwar »ordentlich, damit sie auch tüchtig was hielten«.
    Meine Schwester legte einmal während des Essens ihre Hand auf das Knie von Adam Bronski, dem zweitältesten Bruder. Sie waren von da an zusammen, schon weil Adam nicht wegrennen konnte, so wie meine Schwester sein Knie umklammert hielt. Über Adam Bronski lässt sich sagen, dass er mehr aß, als er sagte. Das war für alle in Ordnung, denn wenn Adam Bronski mal etwas sagte, wurde schnell klar, dass er nicht das schärfste Messer des Familiensilbers war. Laut meiner Schwester knutschte er jedoch gut. Allerdings hatten weder sie noch ich echte Vergleichsmöglichkeiten auf diesem Gebiet.
    Adam Bronski und seine Brüder saßen also jeden Freitag bei uns zu Hause, aßen, tranken Saftschorle und spielten
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mit meinen Eltern. Meine Schwester umkrallte Adam Bronskis Knie, und ich beobachtete die Szene, wie immer gespannt darauf, dass endlich etwas passierte. Es musste doch was passieren. Immerhin waren scharfes Essen, eine komplette Rockergang und zwei minderjährige Jungfrauen am Start. Gut, dieser prekäre Cocktail aus Leichtsinn, Übermut und Hormonen wurde durch die Anwesenheit meiner Eltern, die wabernde Gemütlichkeit und das
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Spiel ein wenig abgemildert, aber trotzdem – seit wann ließ sich Satan durch ein läppisches Kartenspiel und Nachtisch-Eistorte vom
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in die Knie zwingen?
    Und eines schönen Freitagabends passierte tatsächlich etwas. Es war der 14.   Februar, und Adam Bronski gewann die vierte Partie
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. Adam Bronski hatte nochnie gewonnen. Adam Bronski freute sich, was man daran merkte, dass er für eine geschlagene Minute die Mundwinkel nach oben zog, völlig tonlos. Und wenn Adam Bronski sich freute, freute sich meine Schwester auch. Sie grinste ihn an, kniff noch mal kräftig in sein Knie und säuselte: »Ich hab auch noch eine
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