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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
Autoren: Katinka Buddenkotte
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»Hauptsache, ich habe ein weißes Pferd, dann kann ich jeden noch so verpeilten Prinzen mit durchziehen.«
    Und sie sollte recht behalten.
    Mein Vater, der die persönliche Entwicklung meines Bruders stets mit leichtem Zweifel registriert, bringt sich immer wieder zu königlicher Ruhe und Gelassenheit, indem er die Anwandlungen seines Stammhalters nicht direkt versteht. So konnte er selbst die unvermeidbaren Baggy-Pants, die rosa Polohemden und die Riesensonnenbrille meines Bruders ertragen, indem er sich auf seinen Thron pflanzte, den Bart kraulte und wahrhaft royal verlauten ließ: »Wie ich feststellen muss, war mir der Geschmack des Prinzen bisher völlig unbekannt.«
    Ja, Vidi zeigte uns, wie reich an geflügelten Worten und beispielhaftem Verhalten dieser Film tatsächlich war. Selbst für meine medienkritische Mutter hält er das ein oder andere Bonmot bereit, dessen sie sich immer wieder gern bedient. Statt das vulgäre Outfit von flüchtig bekannten Hobby-Galeristinnen detailliert zu kommentieren, genügt es innerhalb der Familie, wenn sie das problemzonenorientierte Kreischfarbenkleid dieser Person mit den Worten »Es wird vorstellig, Prinzessin Kleinröschen!« umschreibt.
    Das erste Wort meines Bruders war für Nichteingeweihte stets ein Rätsel, manche bezeichneten seinen häufig angebrachten, kraftvollen Schrei nach »Aguröhlell!« gar nicht als Wort, sondern als eine Lebensaufgabe für jeden Logopäden. Wir aber, der interne Aschenbrödel-Kreis, wir wussten genau, was er uns mitteilen wollte: »Ein Pferd, schnell!« Er wiederholte die Worte seiner Identifikationsfigur, des leicht retardierten Prinzen. Kann ein einjähriges Kind deutlicher formulieren,wie dringlich sein Verlangen nach irgendetwas ist, wenn es dabei auch noch unterstützend auf den jeweiligen Gegenstand zeigt? Wohl kaum. So reichten wir unserem kleinen Genie alles, worauf es zeigte, wenn es »Aguröhlell!« brüllte. Oft waren es Cornflakes, manchmal Bagger, selten ein Pferd.
    Kurz vor dem Weihnachtsfest beschloss Vidi, sein Werk an uns vollbracht zu haben. Er starb an Materialermüdung, eine häufige Todesursache bei jungen Wanderpredigern. Dennoch verbrachten wir ein schönes, ungestörtes Familienfest. Als meine Schwester unter dem Baum das langersehnte
Guns’n’Roses -
T-Shirt fand, bereitete sie unseren Eltern die größte Freude, indem sie das kostbare Textil an ihr Herz drückte und mit gekonntem Augenaufschlag rezitierte: »Aber   … aber das ist ja ein Brautkleid!«
    Das wirkliche Wunder an jenem Weihnachtsfest manifestierte sich jedoch in Gestalt meines Bruders. Sein Sprachzentrum erwachte erstmals vollständig. Als die gesamte vierköpfige Verwandtschaft im Türrahmen erschien, stieß er bei ihrem Anblick Vidis Lieblingssatz hervor: »Rein damit, reicht nur nicht!«
    Die leichte Irritation der nicht Eingeweihten wusste mein Bruder über das gesamte, wenn auch recht kurze Beisammensein mit Tante, Onkel und Cousins auszubauen, indem er seine Beobachtungen, ganz wie Vidi, ständig wiederholte. Es passte wirklich immer, egal, ob mein Cousin sich anschickte, riesige Portionen Gans zu vertilgen, oder meine Tante versuchte, einen etwas zu kleinen Kaschmir-Pullover anzuprobieren.
    Schon vor dem Nachtisch waren wir wieder auf die Kernfamilie zusammengeschrumpft, und wir ließen mögliche andere Festtagsoptionen, wie etwa den Besuch einer Christmette, unter den noch gut gefüllten Tisch fallen, denn im Fernsehen zeigten sie unseren Film.
    Noch heute bringt meine Familie ein geradezu erschütterndes Verständnis dafür auf, wenn ich glaube, dass ich mal wieder den Mann meines Lebens an den untrüglichen Kennzeichen für ein edles Gemüt erkannt haben will: Er trägt viel zu enge Hosen und einen lustigen Hut, außerdem liebt er die Jagd. Sobald der jeweilige Kandidat dann vor unserer Wohnungstür steht, flüstert meine Mutter ganz leise: »Rein damit   …« Wenn er dann einen Tag mit unserer Familie vor dem Fernseher überlebt, darf er bleiben.

Selbstgespräche
    »Jesus wird kommen, und er wird euch alle ficken!«
    So, jetzt weiß endlich die ganze Linie 3, was der Herr heute Abend noch so vorhat. Manche grinsen, andere gucken mitleidig auf mich herab. Aber die meisten sind unendlich dankbar, dass der Mann mit der besonderen Mitteilungsfreudigkeit sich neben mich und nicht neben sie gesetzt hat.
    Der Mann, also eher das Männchen, trägt zum Ausgleich seiner mangelnden Körpergröße einen lustigen Hut aus Drahtbügeln und
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