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Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht

Titel: Mit Leerer Bluse Spricht Man Nicht
Autoren: Katinka Buddenkotte
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unser Elch sein Liedchen nicht schon vor der Bescherung röhrt.
    Wieder zu Hause angekommen, werden Andrea und der Elch zu meiner Mutter gesetzt, die von unserer Nachbarin Likör eingeflößt bekommt, damit sie nicht merkt, dass die Gans aus Polen und der Rotkohl aus dem Keller ist. Andrea erweist sich wie in jedem Jahr als erstaunlich flexibel und schwenkt ohne Übergang ebenfalls auf Amaretto um.
    Gegen vierzehn Uhr treffen schließlich meine Schwester und mein Schwager ein. Beide stürmen sofort aufdie Wohnzimmercouch, wo mein Schwager meiner Schwester dabei zusieht, wie diese im Fernsehprogramm mit Textmarker anstreicht, welche Sendungen während der Weihnachtstage angeschaut werden. Nur einmal »Sissy«, dafür alle drei Teile hintereinander, zweimal »Der kleine Lord«. Die Lücken bis zum 26.   Dezember werden großzügig mit Wiederholungen von »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« gefüllt. Damit es zur besinnlichen Zeit nicht zu kontroversen Diskussionen kommt, steckt meine Schwester anschließend die Fernbedienung in ihre Handtasche und setzt sich darauf. Ich rege mich schon gar nicht mehr darüber auf, weil sie es selten schafft, volle drei Tage in dieser Position auszuharren.
    Dann kommen mein Bruder und seine Freundin. Mein Bruder soll gleich duschen gehen, genau wie ich, weil wir jetzt nach Bier riechen, in zwei Stunden aber wieder nach Wein riechen sollen oder wenigstens festlich nach Likör.
    »Genau!«, lallt Andrea und lässt dabei fast das Elchgeweih los.
    Die Freundin meines Bruders rennt in die Küche, um zu kontrollieren, dass mein Vater auch was Vegetarisches macht, aber so richtig, nicht nur Knödel und so. Mein Vater hat natürlich eine Wanne voll gedünstetem Gemüse gezaubert, dann kommt mein Einsatz.
    Ich quengele rum, weil mein Vater zu der Zeit, als ich kein Fleisch gegessen habe, nie eine Wanne voll Gemüse gemacht hat, und weshalb mein Bruder jetzt als Erster duschen darf, obwohl der doch schon ein Kaninchen hatte, als er sechs Jahre alt war, und ich nicht.
    Die Freundin meines Bruders bietet mir ein Brokkoliröschen aus ihrer Gemüsewanne an, das will ich jetzt aber auch nicht mehr. Meine Schwester mischt sich von ihrem Fernbedienungsnest aus ein, sie wolle auch noch duschen und dass ich ja gar nicht schon wieder duschen müsste, hätte ich nicht schon wieder gesoffen.
    »Genau!«, rufen Andrea und meine Mutter aus dem Esszimmer. Beide sitzen jetzt auf dem Elch, damit der nicht frühzeitig singt.
    Ich quetsche mich neben meine Schwester auf die Couch und rieche nach Bier, bis sie ins Badezimmer stürzt. Ich nutze den Moment, um in ihre Tasche zu greifen und die Batterien aus der Fernbedienung zu klauen. Bei früheren Gelegenheiten habe ich die ganze Fernbedienung geklaut. War aber nur der halbe Spaß, lustiger ist es, wenn meine Schwester wie verrückt auf dem Ding rumdrückt, um die Schlussszene von »Der kleine Lord« wieder anzustellen. Es ist übrigens kein Ersatz für sie, wenn mein Bruder und ich stattdessen aus vollem Halse »Oh, Golden Slippers« grölen und wild durchs Wohnzimmer polkadieren. Sie mag überhaupt keine selbstgemachten Geschenke. Deswegen sind die von mir gebastelten Gutscheine auch nie direkt an sie gerichtet, sondern an ihr Pferd. Soweit ich es überblicken kann, schulde ich dem Zossen inzwischen ein Turnierhalfter, ein Weidehalfter und eine Abschwitzdecke. Dieses Jahr bekommt es ein Viertel Sattel, der ist dann aber auch mit zum Geburtstag.
    Schließlich steht unsere Nachbarin auf, um ihre Familie zu holen, die sie in der Kneipe vergessen hat. Diesenfamiliären Augenblick nutzen wir. Ungeduscht sitzen wir alle vor dem Fernseher und schauen uns den einzigen Weihnachtsfilm an, auf den wir uns in all den Jahren einigen konnten: »Die drei Musketiere« von 1973.
    Da wir diesen Film gut kennen, sprechen wir in verteilten Rollen mit. Andrea ist der Kutscher, weil der immer nur »Genau« sagen muss. Immer wenn Oliver Reed als Portos was trinkt, trinken auch wir was. Für alle, die den Film nicht kennen: Oliver Reed starb beim Dreh seines letzten Films am Set, nachdem er ein ganzes mexikanisches Dorf zum Wetttrinken herausforderte. Die Rolle des Portos war ihm also quasi auf den Leib geschneidert.
    Gegen Ende des Films wird der Kutscher vom Bock geschossen, also fängt der Elch an zu singen. Unsere Nachbarn stehen mit Knödeln und solchen Sachen vor der Tür, und nachdem wir uns alle zu unserer gesunden Gesichtsfarbe gratuliert haben, wird es ganz besinnlich. Die
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