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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren
Autoren: Arnon Grünberg
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möchte er verschwinden.
Als hätte es ihn niemals gegeben.
    [660]  39
    Violet hat eine SMS erhalten.
»Kommst du jetzt zu mir?«, fragt Wytse. »Wir könnten zusammen nach Afrika. Da ist
man frei.«
    Frei? Was meint er damit?
    Sie muss an die Melodie eines Lieds denken. Nach ein paar Sekunden fällt
ihr der Text wieder ein: »Look where we are right now / On this beautiful little
piece of grass / Suffocated by a sea of cement / Oppressed
by all the traffic / Look at the people / Running, shouting
/ Like they have all gone mad. / You know / I think / I just might go back to Africa.«
    Violet fängt an zu singen, sie muss daran denken, was Wytse über die
Leichen erzählt hat.
    Sie nimmt ihr Handy und schickt Roland eine SMS :
»Vermisst du mich nicht?«, fragt sie. »Fehlt dir nicht, was wir hatten? Bin ich
die Einzige, der was fehlt?«
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    »Und dann diese Textnachrichten«, sagt P.W.F.M. Verkerk, wie
um nur ja kein Detail einer deftigen Geschichte auszulassen,
» SMS an Studenten über Kollegen! Das haben wir mittlerweile
auch herausgefunden. Was ist nur in dich gefahren, per SMS bei Studenten über Kollegen zu tratschen?«
    [661]  »Hätte ich lieber per E-Mail über sie tratschen sollen?«, fragt Roland.
    Verkerk schaut ihn kurz gereizt an, dann wird sein Blick milder.
    »Wie auch immer«, sagt er und schlägt mit der Hand auf einen Stapel Zeitungen
auf seinem Schreibtisch, »wenn ich du wäre, würde ich nach Neuseeland gehen und
mich da bei einer Bank bewerben. Vielleicht kannst du ja auch deinen Nachnamen ändern.
Die Welt der Wissenschaft ist auch international gesehen
ziemlich klein. Und nimm dir einen Anwalt. Die Universität hat noch keine Entscheidung
getroffen, aber unser Ruf hat durch deine, wie soll ich
sagen, spielerischen Provokationen gehörig gelitten. Erst bei Saitoti den großen
Unbestechlichen raushängen und dann so was. Mein Gott, diese Peitsche! Manche Dozenten
haben sich ja schon eine Menge geleistet, aber eine Peitsche schlägt dem Fass doch
den Boden aus!«
    Oberstein will aufstehen, aber er kann sich nicht rühren. »Danke für
den Tipp«, sagt er. »Neuseeland.«
    »Oberstein!« Verkerk senkt verschwörerisch seine Stimme und streicht
sich wieder über den Schnurrbart: »Denk nicht, ich sei einer von diesen bornierten
Moralaposteln. Wenn ich so wenig verdienen würde wie du, würde ich auch mit Studentinnen
schlafen. In grauer Vorzeit hab ich mich auch ab und zu mal vergessen. Bei uns allen
schlägt der Blitz einmal ein. Aber ich hab immer darauf geachtet, dass sie nicht
im Krankenhaus landen oder ihre Todessehnsucht auf Facebook ausleben – mein Gott,
ausgerechnet auf Facebook! Auch ich hab schon mal den Kopf verloren, aber sie haben
alle ihren Weg gemacht: [662]  verheiratet, Kinder – Karriere nicht mehr, in den meisten
Fällen, aber oft einen Mann mit einem guten Einkommen.
Ich hab Kontakt zu ihnen gehalten. Bei der einen oder anderen bin ich sogar noch
zu Hause gewesen, wenn der Mann auf Geschäftsreise war.
– Aber die Interessen der Universität gingen jederzeit vor! Dieser Reitunfall wird
dir angelastet, und damit der Universität. Die Leute sagen: Das war kein Unfall.
Und seien wir ehrlich, Oberstein: Es war auch keiner. Das weiß jeder.«
    Ohne noch etwas zu sagen, verlässt Oberstein das Gebäude. Seinen Schreibtisch
in Slachters Büro räumt er nicht aus. Er hat nicht den Mut.
    Auf der Straße meint er noch immer, dass alle Leute ihn anstarren.
    Als er seine Bleibe betritt, spricht Antoinette ihn auf der Treppe an.
    »Hast du einen Moment Zeit?«, fragt sie.
    »Ja«, antwortet Roland.
    »Wir vom Kuratorium hatten heute Morgen eine Telefonkonferenz und sind
übereinstimmend der Meinung, dass es für alle Seiten das Beste ist, nicht zuletzt
auch für dich, wenn du mit sofortiger Wirkung deinen Rücktritt aus dem Kuratorium
des Vroom-&-Dreesmann-Literaturpreises erklärst.«
    Er nickt. Was soll er auch antworten? Er ist völlig einer Meinung mit
ihr.
    »Schau, natürlich bist und bleibst du ein bedeutender Ökonom, aber in
den Statuten unserer Stiftung steht, dass wir mit der
Vergabe des Preises auch was für die Förderung des Lesens tun wollen, und was du
da getan hast …«
    [663]  Sie hüstelt.
    »Was du getan hast, kann man nicht ernsthaft Leseförderung
nennen, wollen wir mal sagen.«
    »Da hast du recht.«
    »Ich hab schon was aufgesetzt und ausgedruckt, und wenn du nachher zu
mir kommst, kannst du das unterschreiben, dann ist das auch gleich erledigt.«
    Er
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