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Mit Haut und Haaren

Mit Haut und Haaren

Titel: Mit Haut und Haaren
Autoren: Arnon Grünberg
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Sie ihn bitte wieder mitnehmen, Meneer Oberstein?«, fragt Gwendolyne.
»Ich kann nichts damit anfangen.«
    »Verstehe, natürlich«, sagt er.
    Er versucht, den Bären wieder einzupacken, doch es gelingt ihm nicht.
    »Um fünf kommen meine Eltern«, sagt sie, »dann sollten Sie besser weg
sein.«
    Er sieht, wie sie die Uhr dem Bett gegenüber anstarrt.
    Es ist fünf nach vier.
    »Soll ich dir etwas zu trinken geben?«, fragt er. Auf dem Nachttisch
stehen Tee und eine Art Fruchtsaft.
    »Nein danke«, sagt sie.
    Er schaut in die Tüte, in der der Bär gesteckt hat.
    »Ich habe dir noch etwas mitgebracht«, sagt er. »Ich dachte, vielleicht
möchtest du sie zurück. Sie gehört dir. Ich hab sie dabei.«
    Aus der Plastiktüte holt er Gwendolynes Peitsche und legt sie aufs Bett.
    »Aber wenn du willst, kann ich sie auch wieder mitnehmen. Was meinst
du, Gwendolyne?«
    Sie betrachtet die Peitsche, scheint zu zögern.
    »Ich behalt sie«, sagt sie. »Aber ich bin
nicht Gwendolyne.«
    »Gwenny.«
    »Ich bin Natascha.«
    Er legt seine Hand auf die Decke. Auf ihren Arm.
    »Natascha von 0800-9994?«
    [668]  »Von 0800-4999. Sie merken sich’s nie.«
    Jetzt muss er stark sein. Er darf sich nichts anmerken lassen. Kein Gefühl.
    »Natascha«, sagt er.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie. »Sie haben Ihre Hand auf meinem Arm. Aber
ich spüre nichts.«
    »Was sagen die Männer zu dir, wenn du endlich mit ihnen sprichst? Was
sagen sie dann?«
    »Sie wollen wissen, was ich anhabe.«
    »Und was hast du dann an, Natascha?«
    »Einen Rock.«
    »Welche Farbe?«
    »Rot. Und kurz. Ganz kurz.«
    Er lüpft die Decke. Ein Krankenhaushemd. Eine
Windel. Er legt seine Hand auf ihren Bauch.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie.
    »Was trägst du unter dem Rock?«
    »Nichts. Gar nichts.«
    Er legt die Hand auf ihre Windel.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie. »Ich hatte einen Katheter, aber sie meinten,
der hätte sich entzündet.«
    »Dreh dich um, Natascha«, sagt er. »Ich will
deinen Hintern sehen.«
    »Ich zieh mir den Rock hoch«, sagt sie. »Sehen Sie, dass ich nichts anhabe?
Sehen Sie’s?«
    »Hast du das zu den Männern gesagt?«
    »Ja«, antwortet sie. »Das hab ich immer zu ihnen gesagt. Wenn ich mit
ihnen telefoniert hab.«
    Er löst ihre Windel.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie.
    [669]  Der Geruch von Kot und Urin.
    Er hebt ihre Beine an. Die Beine sind schwer.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie.
    Er zieht die Windel unter ihr weg.
    »Ich bin Natascha«, sagt sie.
    Er wirft die Windel in den Papierkorb.
    »Das ist ein geiles Gespräch«, sagt sie.
    Er fasst sie um die Hüfte und um die Beine.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie.
    Er zerrt an ihr herum.
    Er versucht, sie umzudrehen. Er muss vorsichtig sein wegen der Infusionsnadel.
    Endlich liegt sie auf dem Bauch.
    Er streichelt ihren Hintern.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie.
    Er fummelt zwischen ihren Beinen.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie.
    Er nimmt die Peitsche.
    »Was hast du an?«, fragt er.
    »Einen kurzen Rock. Sehr kurz. Ich trage ihn nur für Sie.«
    Er lässt die Peitsche auf ihre Pobacken klatschen.
    »Ich spüre nichts«, sagt sie. »Ich höre es nur. Ich höre die Peitsche.
Wenn ich die Augen schließe. Wenn ich schlafe. Wenn ich esse. Wenn ich trinke. Ich
höre sie immer.«
    »Und wollten die Männer wirklich nur wissen,
was du anhattest?«
    »Ja«, sagt sie. »Das wollten sie wissen. Alle, ausnahmslos. Was ich anhatte.«
    Er schlägt mit der Peitsche.
    [670]  »Ich spüre nichts«, sagt sie.
    Er legt den Kopf auf ihren Rücken.
    Er streichelt den Rücken.
    »Jetzt müssen Sie gehen«, sagt sie. »Sie haben gewonnen, Meneer Oberstein.«
    »Nein«, sagt er. »Ich habe nicht gewonnen.«
    »Sie müssen gehen. Sie sind der Sieger.«
    »Ich habe nicht gewonnen, Gwenny. Nichts habe ich gewonnen.«
    »Sie müssen gehen. Und Sie dürfen nie mehr
wiederkommen.«
    Er ist still. Sein Gesicht ist nass, voller Tränen.
    »Darf ich nicht noch ein Mal vorbeikommen?«,
fragt er. »Wär das nicht schön für dich? Ich bring auch keinen Bären mit.«
    »Sie müssen gehen«, sagt sie. »Sonst rufe ich die Schwester. Und Sie
dürfen nie mehr zurückkommen.«
    Kurz bleibt er so stehen. Über ihr Bett gebeugt. Den Kopf noch auf ihrem
Rücken.
    Dann sucht er im Schrank nach einer Windel. Mühevoll dreht er Gwendolyne
wieder herum und legt ihr die Windel, so gut es geht, an. Er drapiert die Bettdecke
über sie. Die Peitsche legt er in den Schrank zu ihren persönlichen Sachen.
    Dann nimmt er den
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