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Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Autoren: Jürgen Schmieder
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freundlich. Viele von ihnen beklagten, dass sie vor lauter Bürokratie und Quotendruck nicht dazu kämen, sich um die Bürger und deren Anliegen zu kümmern. Natürlich gibt es auch arrogante und faule Polizisten. Aber die sind in der Unterzahl.
    Warum brechen wir so viele Gesetze? Es passiert unabsichtlich, wegen Unkenntnis, in vielen Fällen geschieht die Übertretung jedoch bewusst. Wir machen es in der Hoffnung, nicht erwischt zu werden – und weil wir notfalls bereit sind, die Strafe zu bezahlen. Bei den Begründungen für die Übertretungen gibt es kaum einen Unterschied zwischen uns und denen, die wir Verbrecher schimpfen: Entweder wird so getan, als wären unsere Taten keine Verbrechen – oder wir begründen unsere Taten damit, dass es alle so machen. Oder wir behaupten, dass es nur dann ein Verbrechen sei, wenn wir erwischt werden.
    Das eigene Leben ist schön, wenn immer die anderen schuld sind und man die Regeln, was gut und böse ist, selbst festlegen darf.
    Das tun jene, die wir als Verbrecher abstempeln, jedoch auch. Der Drogendealer erklärt, dass er doch nur ein Geschäftsmann sei. Die Verantwortung schiebt er ab: Was könne er dafür, wenn jemand das Zeug kauft und sich in die Nase oder sonstwohin stopft! Das sei doch nicht seine Schuld! Der Pokerspieler schiebt seine Steuerhinterziehung auf die Gesetzgebung, der Schwarzarbeiter macht den Staat dafür verantwortlich, dass er keinen Job mehr findet. Der Hartz-IV-Betrüger begründet seine Taten damit, dass er doch eine Familie zu ernähren habe. Der Räuber schiebt es auf die Mittäter.
    Und wir? Finden auch immer einen Schuldigen für unsere Taten.
    Ein Verbrechen ist auch dann ein Verbrechen, wenn wir nicht erwischt werden – denn die Konsequenzen für die Opfer bleiben ähnlich. Mal ist das Opfer ein Mensch, mal ein Unternehmen, mal die gesamte Gesellschaft. Ein Verbrechen bleibt auch ein Verbrechen, wenn wir uns einreden, dass es keines ist. Nur weil wir denken, dass Versicherungsbetrug ein Kavaliersdelikt sei, ist es noch nicht so. Und nur weil viele Menschen Steuern hinterziehen, wird es noch lange nicht weniger schlimm. Wir sind verpflichtet, das Gesetz zu achten, auch wenn es uns nicht immer in den Kram passt.
    Durch das Projekt und den Versuch, mich an alle Gesetze zu halten, habe ich gesehen, wie es manchmal zugeht in diesem Land: Wer sich in dieser Blase aufhält, der erkennt den Krieg, der da um einen herum tobt. Es ist ein makabrer Wettbewerb, den Mitmenschen zu betrügen und möglichst viel für sich selbst herauszuschinden – und es scheint tatsächlich, als wäre der Gesetzestreue der Dumme.
    Es lohnt, sich mit Gesetzen zu beschäftigen und sich fortzubilden. Wir werden an jedem einzelnen Tag belogen und betrogen – von anderen Menschen, von Firmen, vom Staat. Naivität und Unkenntnis werden ausgenutzt mit fehlerhaften Mietverträgen, dreisten Abmahnungen und falschen Steuerbescheiden. Wenn wir uns nicht informieren und dagegen wehren, dann werden wir auch morgen noch belogen und betrogen.
    Wir müssen gegen Unrecht vorgehen – es gehört zu den wichtigsten Rechten eines Menschen, sich zu wehren. Das kann mit einer Beschwerde sein, einer Klage – oder auch mit einer Demonstration. Die Ausrede, dass ein Einzelner kaum etwas bewegen könne, ist tatsächlich nur eine Ausrede: Ein Aushilfslehrer etwa erreichte ein Volksbegehren und einen Volksentscheid und sorgte damit für eine Verschärfung des Nichtraucherschutzes. Aus Gebeten in der Nikolaikirche zu Leipzig an einem Montagabend wurde eine der größten Revolutionen in der Geschichte der Menschheit.
    Wir müssen unsere Lethargie ablegen. Wir können etwas ändern, wir müssen uns nur auf unsere Füße stellen und für unsere Überzeugung kämpfen.
    Es war der Versuch, mir selbst einen Spiegel vorzuhalten – und darauf zu hoffen, dass sich viele Menschen in diesem Spiegel wiedererkennen. Und das, was man da sieht, kann eben vieles sein. Und es gefällt einem nicht immer.
    Ein witzig gemeintes Projekt wurde ernst, weil ich gemerkt habe, wie oft andere Menschen das Gesetz brechen – und wie oft ich selbst zuvor das Gesetz gebrochen habe. Es ist erschreckend zu sehen, wie manche Menschen miteinander umgehen.
    Es ist ein riesiges Irrenhaus, in dem wir leben.
    Sind wir irre, weil uns dieses Haus mit all seinen Gesetzen verrückt gemacht hat? Oder gibt es dieses Haus nur, weil wir alle irre sind?
    Die Frage lautet nicht: Gibt es zu viele Gesetze in Deutschland?
    Die Frage lautet:
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