Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)

Titel: Mit einem Bein im Knast: Mein Versuch, ein Jahr lang gesetzestreu zu leben (German Edition)
Autoren: Jürgen Schmieder
Vom Netzwerk:
Warum gibt es so viele Gesetze in Deutschland?
    Die Frage lautet nicht: Ist der Verwaltungsapparat zu groß?
    Die Frage lautet: Warum ist der Verwaltungsapparat so groß?
    Die Frage lautet nicht: Sehen wir zu viele Schilder auf den Straßen?
    Die Frage lautet: Warum sehen wir so viele Schilder?
    Ich habe am Anfang die falschen Fragen gestellt – und deshalb auf falsche Antworten gehofft.
    Die entscheidende Frage lautet: Warum ist Deutschland so, wie es ist?
    Und die Antwort lautet nicht: wegen der Politiker.
    Sie lautet nicht: wegen der Unternehmen.
    Sie lautet: wegen uns.
    Wir haben dieses Land zu einem Irrenhaus gemacht.
    Nehmen wir die EU -Verordnung zur Gurkenkrümmung, die mittlerweile abgeschafft ist – über die wir uns alle herrlich amüsiert haben und die als Symbol für den Bürokratiewahn in Europa steht.
    Warum wurde diese Verordnung eingeführt?
    Da saßen nicht ein paar Bürokraten in einem Raum und haben darüber nachgedacht, eine möglichst komplizierte Norm zu formulieren. Initiator der Richtlinie waren Einzel- und Großhändler, die Gurken möglichst kostensparend verpacken, verschicken und verkaufen wollten. Das klappt nur, wenn die Krümmung normiert und auf rechtlich verbindliche Weise vorgeschrieben wird. Also empfahl die UN -Wirtschaftskommission für Europa eine Normierung der Gurken. Diese Empfehlung wurde als EU -Norm weitgehend wörtlich übernommen. Und warum wollen die Einzelhändler Kosten sparen? Weil wir alle so wenig wie möglich bezahlen wollen.
    Diese EU -Normen werden in den Mitgliedstaaten angeregt, in denen sich Interessengruppen schützen möchten: deutsche Bierbrauer, luxemburgische Banken, italienische Spaghettihersteller. Kondomhersteller wehren sich mit Normen ebenso gegen Billiganbieter wie Produzenten von schottischem Whisky oder Fischer in der Nordsee. So entstehen abstruse Dinge wie etwa der »Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über hinter dem Führersitz montierte Umsturzvorrichtungen mit zwei Pfosten für Schmalspurzugmaschinen mit Luftbereifung«. Also: Eine Vorschrift für Sturzbügel an Kleintraktoren, die am Ende mehr als 100 Seiten stark war.
    Schuld sind nicht immer Politiker und Bürokraten – schuld sind meistens wir. Warum soll es Ampeln auf Lebensmitteln geben, und warum ist die Aufschrift »Bio« auf einer seitenlangen Verordnung geregelt? Wegen uns. Wir waren derart naiv und glaubten, dass sich Aufschriften wie »kontrollierter Vertragsanbau«, »natürliche Herstellung« oder »alternativ« auch irgendwie ökologisch anhören würden – und kauften diese Produkte. Firmen nutzten das aus und schrieben Bockmist auf die Verpackungen, dennoch fanden wir das prima und kauften. Also brauchte es eine Kennzeichnung, die auch die Dümmsten verstehen: »Bio«: gut, »biologisch«: gut, »ökologisch«: gut, »öko«: gut. Alle anderen Bezeichnungen: böse!
    Und weil die Allerdümmsten nicht verstehen wollten, dass auch Bioschokolade schädlich sein kann, wenn man drei Kilogramm davon isst, soll es die Ampel geben: Besteht das Produkt zu mehr als 12,5 Prozent aus Zucker oder zu mehr aus 20 Prozent aus Fett: böse! Rote Ampel!
    Natürlich werden Gesetze eingeführt, weil Politiker dringend Wählerstimmen brauchen oder mächtige Lobbyisten Druck ausüben.
    Wie mächtig der Einfluss der Lobbyisten ist, zeigt die aktuelle Diskussion um die europäischen Datenschutzregeln. Auf der Internetseite lobbyplag.eu ist vermerkt, wie EU -Parlamentarier ganze Passagen von Vereinigungen wie der US-amerikanischen Handelskammer und Unternehmen wie Amazon oder Ebay einfach übernommen haben.
    Gegen das, was da offensichtlich passiert, sind die unsauber angefertigten Doktorarbeiten von Annette Schavan oder Karl-Theodor zu Guttenberg ein Witz. Denn: Bei diesen Arbeiten ging es nur um Politiker, die womöglich zu Unrecht einen akademischen Titel führen. Bei diesen Gesetzen geht es um uns! Es betrifft uns direkt.
    Es mag zunächst wenig überraschen, dass Lobbytexte in Gesetzentwürfen auftauchen. Klar: Lobbyisten üben Einfluss auf Abgeordnete aus. Das ist nicht schön, gehört aber anscheinend zum politischen Geschäft. Erschreckend ist das Ausmaß, in dem die Lobbyisten mitreden dürfen. Erschreckend ist auch, zu welch mächtigen Koalitionen sich ohnehin mächtige Unternehmen zusammengeschlossen haben.
    Am Ende steht die Frage, die Richard Gutjahr – Gründer von lobbyplag.eu – in seinem Blog formuliert hat: »Wer
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher