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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt
Autoren: Annett Groeschner
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hinderte, im Regen weiterzumalen, bis er einen Herzanfall bekam. »Man fuhr ihn in einem Wäschereikarren in die Rue Boulegon zurück, und zwei Männer brachten ihn nach oben ins Bett.«
    Ich nehme den Bus in die Stadt.

Die älteste
Straßenbahn
Afrikas
    Alexandria, Ägypten
    D as öffentliche Verkehrssystem von Alexandria ist – wie überall in Ägypten – etwas für Eingeweihte. Es gibt keinen Grund, in aufwendige Informationssysteme zu investieren. Die Einheimischen wissen, wie sie ihr Ziel erreichen, ob sie sich nun in einen der Minibusse zwängen, die in abenteuerlicher Geschwindigkeit die Corniche entlangdonnern, oder mit der blauen Straßenbahn in einen der Außenbezirke fahren. Die Touristen nehmen ohnehin lieber Taxis, in denen sich die Kosten für eine Fahrt durch die Stadt mit ein wenig Geschick auf den Preis eines Kurzstreckentickets der Berliner Verkehrsbetriebe herunterhandeln lassen. Die Verkehrsbetriebe haben keinen Internetauftritt, es gibt keinen Fahrplan und einen Streckenplan nur am Kreuzungspunkt Raml, der – fast ein Wunder – die Haltestellennamen sogar in lateinischen Buchstaben verzeichnet. Die Liniennummern sind für westliche Fremde schwer zu entziffern, denn obwohl unsere Zahlen dem arabischen Schriftsystem entlehnt wurden, darf man nicht erwarten, sie lesen zu können, heutige arabische Ziffern sehen ganz anders aus. Die 4 erinnert an ein lateinisches E in Schreibschrift. Sie hält hier am Raml-Platz nicht, aber wie ich mit einer anderen Linie zu ihr gelange, kann mir keiner erklären, selbst die beiden jungen Mädchen nicht, die Englisch sprechen und mir vorschlagen, doch lieber mit dem Taxi zum St.-Katharinen-Platz zu fahren, wo die 4 ihren Ausgangspunkt hat. Auf dem Raml-Platz kreuzen sich die Linien der gelben und der blauen Straßenbahn. Die blaue Bahn, benannt nach der Farbe ihrer Wagen, fährt in die Vorstädte, während die gelbe Linie durch die Innenstadt zuckelt. Bei jedem dritten Zug der blauen Bahn, die moderner und schneller ist als die gelbe, ist einer von zwei Beiwagen ein Doppelstockwagen. Nur in Hongkong und Blackwell werden noch Doppelstockwagen eingesetzt. Die Fenster sind heruntergelassen, und man sieht Ellenbogen, die aus den Fenstern ragen, und flatternde Kopftücher.

© Annett Gröschner

In Alexandria ist der erste Wagen immer den Frauen vorbehalten, während die anderen beiden Geschlechtern offenstehen. In den Frauenwagen geht es lustig und laut zu, werden Geheimnisse zugeflüstert, über andere gelästert, eben gekaufte Dessous vorgezeigt oder mit Handys gespielt, die meistens rosa glitzernde Gehäuse haben und nicht mit Muezzin-Gesängen klingeln, sondern auch mal mit dem frechen Pfeifen aus dem Film Kill Bill . Oft sind die Gehäuse der Handys farblich auf die Kopftücher abgestimmt, und die knöchellangen Kleider dieser Frauen sind aus kostbaren Stoffen, manche sehr transparent. Nur die Frauen mit den schwarzen Gewändern und dem Niqab, einem Gesichtsschleier, der einen schmalen Schlitz für die Augen freilässt, halten sich zurück. Sie sind die Beobachterinnen, bewegen sich leise und fast unsichtbar, ihr Blick ist oft streng, es könnte sich ja eine Schwester danebenbenehmen.
    Alexandria hat das älteste und einzige Straßenbahnnetz Afrikas, zweiunddreißig Kilometer lang, zwanzig Linien, sechzehn davon gehören zur gelben Bahn. Die Schienen, behauptete jemand, sollen seit dem Bau 1860 nicht mehr erneuert worden sein. Ob das stimmt oder nicht, die Gleise der gelben Bahn hätten eine Sanierung nötig, die Bahn rumpelt und quietscht, und sie ist so langsam, dass man nebenherlaufen kann, ohne in schnelles Tempo verfallen zu müssen. Abspringen lässt es sich sowieso fast überall, denn die Bahn öffnet die Türen schon hundert Meter vor der Haltestelle, von der man allerdings wissen muss, denn Hinweisschilder oder Wartehäuschen existieren nicht überall. Eine Klingel, die die Abfahrt ankündigt, gibt es nicht, geschweige denn eine Ansage, welche Haltestelle als Nächstes angesteuert wird. Wenn die Bahn im Stau steht, und das tut sie oft, denn die gelbe Bahn teilt sich die Straße mit den Autos und Lkw, kann man aufspringen. Manche Straßenbahnen fahren sowieso immer mit offenen Türen. Von Problemen an den Wagen, zum Beispiel an den Achsen, habe ich nichts gehört, wahrscheinlich werden sie besser gewartet als die Bahnen in den hoch technisierten Ländern Europas, wo die S-Bahn wie in Berlin schon mal für zwei Monate ausfallen kann.
    Der
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