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Mit 15 wachsen einem Flügel

Mit 15 wachsen einem Flügel

Titel: Mit 15 wachsen einem Flügel
Autoren: Tina Caspari
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umzuziehen. „Es dauert nur fünf Minuten, dann bin ich fertig. Warte hier solange.“
    „Okay.“
    Katja war noch ganz benommen. Um sie herum begann das Haus lebendig zu werden, Musikfetzen drangen herauf, Türen klappten, auf den Gängen hallten Schritte, man hörte Zurufe, und ein Tenor schmetterte sein „Mimimimiiiimmmmehr Gage“. Es war aufregend, fremd und verführerisch. Alle schienen eine große Familie zu sein, eine Familie, die sich in einer Geheimsprache verständigte und anders war als die ganze übrige Welt. Wie herrlich mußte es sein, da unten auf der großen Bühne zu tanzen — vor Hunderten von Menschen, vor einem Publikum, das andächtig jeder Bewegung, jedem Schritt folgte und am Schluß in Bravorufe und donnernden Applaus ausbrach!
    „He, träumst du? Wir können gehen.“
    Janos nahm Katja am Arm und führte sie hinaus. Beim Portier stand ein dicker Sänger, den Katja schon einmal auf der Bühne gesehen hatte. Unter dem Bademantel, den er trug, schauten die Hosen seines Bühnenkostüms heraus. Und da er den Mantel offen trug, sah man, daß er seinen massigen Bauch in ein Korsett gezwängt hatte. Katja schaute schnell weg, um nicht laut loszulachen.

    Vor dem Haupteingang erschienen die ersten Zuschauer. Bald würde es hier von mit Schmuck behangenen Damen in eleganten Abendkleidern und Herren im dunklen Abendanzug wimmeln.
    Janos hängte sich bei Katja ein. „Müde?“ fragte er.
    „Nein. Nur irgendwie — komisch. Ich meine, ich bin so deprimiert, seit ich euch bei der Arbeit gesehen habe. Einerseits bin ich begeistert über den herrlichen Nachmittag und alles was ich gesehen habe, aber andrerseits — ich weiß nicht, ob du das verstehst. Ich habe das Gefühl, alles was wir in der Schule machen ist so stümperhaft, der reinste Kindergarten. Ich glaube, ich wage gar nicht mehr, auf der Probe noch einen Schritt zu machen.“
    „Sei nicht albern, du übertreibst maßlos“, sagte Janos ärgerlich. „Wenn ich gewußt hätte, daß du so darauf reagierst, hätte ich dich nicht zuschauen lassen. Gerade du hast überhaupt keinen Grund zu Minderwertigkeitskomplexen! Es sollte dich anstacheln, deine Phantasie anregen.“
    „Ich wußte, daß du es nicht verstehst.“ Katjas Stimme war auf einmal ganz klein. Warum war ihr plötzlich so zum Heulen zumute? Dieser Nachmittag im Theater hatte sie ganz durcheinandergebracht. „Ich kann es dir auch nicht erklären“, sagte sie spröde und fühlte, wie sich auf ihren Augen kleine Pfützen bildeten. „Es ist das Gefühl, daß man sich bis zum Zerreißen nach etwas sehnt — danach sehnt, etwas zu können — und gleichzeitig fühlt, daß man es nie können wird. Nie!“
    Janos blieb stehen und zog sie an sich.
    „Du Schäfchen. Eben diese blöden Gedanken möchte ich dir ja austreiben — oder nein, nicht austreiben, aber dir begreiflich machen, daß sie dazugehören — zum Tänzerberuf. Das ist ganz normal! Vielleicht ist es sogar wichtig, um den Antrieb zum Weiterarbeiten zu bekommen. Ich selbst muß mich immer wieder mit diesen Zweifeln herumschlagen.“ Lächelnd nahm er ihren Kopf in beide Hände und küßte sie zart auf die Stirn. Katja war es, als schwanke der Boden unter ihr, wie die Planken eines Schiffes bei Windstärke zwölf.
    „Komm, jetzt mußt du aber gehen, sonst verpaßt du den nächsten Zug auch noch. Wir haben noch vier Minuten.“
    „Verflixt!“
    Hand in Hand rannten sie die Treppen zum Bahnsteig hinunter. Vor der Sperre drückte Janos Katja noch einmal an sich.
    „Ciao! Bis Montag — auf der Probe!“
    Er winkte ihr nach, bis sie auf der Rolltreppe verschwunden war.
    Da Katja ihrer Mutter nicht gesagt hatte, mit welchem Zug sie kommen würde, mußte sie die fünf Kilometer von der Station zu Fuß nach Hause gehen. Aber das war ihr gerade recht. Ihr Gefühlsaufruhr ließ sich am besten auf einem Spaziergang verarbeiten. Janos hatte sie geküßt, Janos hatte sie im Arm gehalten — immer wieder durchlebte sie in Gedanken diese Szene, versuchte sich an jedes Wort zu erinnern. Er, der berühmte Solotänzer Janos Thöldy, interessierte sich für die uninterressante, unbedeutende Katharina Steinebach, die sich selbst so häßlich und doof fand, daß sie immer noch rot wurde, wenn jemand sie genauer betrachtete.
    Als sie zu Hause ankam, war es bereits dunkel. Der Abendbrottisch war abgedeckt und Mami war dabei, die Zwillinge ins Bett zu bringen.
    Papi saß im Wohnzimmer und las die Zeitung, er tat, als bemerke er Katja überhaupt
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