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Mit 12 fühlt man ganz anders

Mit 12 fühlt man ganz anders

Titel: Mit 12 fühlt man ganz anders
Autoren: Tina Caspari
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hatte auf dem Sofa ein Mittagsschläfchen gehalten und gähnte Katja verschlafen an. Aber als Katja ihr in lebhaften Farben das ganze Elend ihres Kampfes mit Tante Otti schilderte und verzweifelt auf die schleifengeschmückten Schwänzchen über den Ohren zeigte, mußte sie lachen und bat Katja in ihr privates kleines Haarstudio, wie sie das mit Waschbecken, Spiegel und einer Trockenhaube ausgestattete Kinderzimmer nannte.
    „Na, dann komm. Um vier habe ich eine Kundin, bis dahin schaffen wir das leicht!“
    „Ganz kurz, bitte!“ beschwor Katja sie. „Einen richtigen tollen Jungenschnitt!“
    „Na klar, sollst mal sehen, wie du nachher ausschauen wirst. Im Nacken angeschnitten und vorn ein bißchen länger, daß es seitlich ins Gesicht fällt, siehst du, so!“ Maria zeigte ihr ein Foto, auf dem ein hübsches Mädchen mit modischem Kurzhaarschnitt zu sehen war. „Klasse!“ sagte Katja strahlend.
    Maria wusch ihr die Haare, dann begann sie zu schneiden. Zum Schluß wurde die Frisur trockengefönt, und Katja durfte sich von allen Seiten im Spiegel betrachten. Sie kicherte.
    „Total gut! Die werden Augen machen!“
    Sie bezahlte, bedankte sich noch einmal herzlich bei Maria und lief nach Hause.
    Tante Otti mußte um diese Zeit schon unten bei Frau Haubenstock sein. Frau Haubenstock war die Besitzerin des alten Hauses, in dem die Familie Steinebach eine Wohnung im ersten Stock gemietet hatte, und wohnte im Erdgeschoß. Dem Aussehen nach hätte sie eine Schwester Tante Ottis sein können. Nur in einem unterschied sie sich vollkommen von ihr: anstelle der zupackenden Fröhlichkeit, die Tante Otti auszeichnete, schien Frau Haubenstock von andauerndem Weltschmerz heimgesucht. Es gab nichts, was ihr nicht ausreichend Anlaß zu endlosen Jammertiraden bot: sei es ihr körperliches und seelisches Befinden, sei es das Wetter, die Preise, der Verkehrslärm - oder auch die Mieter. Ausgenommen von ihrer heftigen Kritik an allem und jedem war Tante Otti, die sich bei ihren Besuchen stets bereit gefunden hatte, ihr mit engelhafter Geduld zuzuhören.
    „Sie ist eben schrecklich einsam“, verteidigte Tante Otti Frau Haubenstock. „Die gute Seele! Sie hat ja keinen Menschen, der sich um sie kümmert!“
    Daß es Frau Haubenstock gelungen war, nach und nach ihre ganze Familie zu vergraulen, verschwieg sie wohlweislich.
    Katja kam ungesehen in ihr Zimmer. Sie riß sich das Geblümte vom Leib, feuerte es in eine Ecke, in der sich schon Pullis, Strümpfe, Hosen und Gürtel häuften und zog Jeans und ihr buntestes Sweatshirt an. Endlich fühlte sie sich wieder wohl in ihrer Haut! Jetzt würde sie sich eine Stunde lang richtig austoben und dann an ihre Hausaufgaben gehen. Und wenn Tante Otti heute abend zum Abendbrot erschien und ihren kurzgeschnittenen Schopf sah und halb in Ohnmacht fiel, dann würde dieser dicke Kloß aus Wut und Verzweiflung, der immer noch in Katjas Bauch saß, sich in nichts auflösen.
    Katja schlüpfte in ihre Turnschuhe, zog einen dicken Skipulli über das Sweatshirt und stürmte die Treppe hinunter. Draußen blies ein kalter Wind, aber die Straßen waren trocken. Wohin sollte sie gehen? Unschlüssig schaute sie sich um.
    Im Hinterhof auf der Wäschewiese lärmten die Nachbarskinder. Jörg, Oliver und Andy, die Unzertrennlichen, alle neun Jahre alt. Im allgemeinen übersah Katja sie naserümpfend, aber jetzt kam ihr eine tolle Idee.
    Sie wußte, Frau Haubenstock ärgerte sich grün und blau, wenn die Jungen unter ihrem Wohnzimmerfenster herumtobten. Sie würde also ganz sicher aus dem Fenster schauen - und mit ihr Tante Otti. Bei dem Gedanken, wie Tante Otti sich eben jetzt bei Frau Haubenstock darüber ausließ, wie sie erfolgreich diesem törichten Kind beigebracht habe, was sich für eine angehende junge Dame schickt, kam Katja erneut die Galle hoch. Er versetzte sie in genau die Stimmung, die sie brauchte, um sich mit den drei Jungen vor Frau Haubenstocks Fenster zu produzieren.
    Katja schlenderte auf den Hof. Die Jungen dribbelten abwechselnd einen Fußball über das nicht allzu große Rasenstück, wobei sie die Wäschestangen geschickt umspielten.
    „Gut, Jörg, das war super!“ lobte Katja. „Darf ich auch mal?“
    Die Jungen waren nicht sonderlich begeistert von der Idee, einen weiteren Mitspieler aufzunehmen und damit noch länger auf den Ball warten zu müssen. Andrerseits lockte die Möglichkeit mitzuerleben, wie sich die Große da blamierte und sie selbst mit ihren Leistungen glänzen konnten.
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