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Mission Walhalla

Mission Walhalla

Titel: Mission Walhalla
Autoren: Philip Kerr
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Schulzendorfer Straße in Sicht, und Hamer, der hinter uns kniete, sagte: «Was für eine Bruchbude. Mir ist schleierhaft, wie man dafür ein Häuschen in Schönwalde aufgeben kann.»
    Scheuer, der mittlerweile auch schon in der Wohnung gewesen war, sagte: «Innen sieht es gar nicht so übel aus.»
    «Na, ich kapier’s trotzdem nicht.»
    Ich zuckte die Achseln. «Sie sind eben kein Berliner, Hamer. Erich Mielkes Vater hat fast sein ganzes Leben hier in der Gegend gelebt. Die geht einem in Fleisch und Blut über. Wie die Loyalität zu einem Stamm oder einer Bande. Für einen alten Berliner Kommunisten wie Stellmacher ist das hier das Zentrum des deutschen Kommunismus, nicht das Ostberliner Polizeipräsidium. Und es würde mich nicht wundern, wenn in diesen Straßen auch noch alte Freunde von ihm wohnen. Für Berliner ist der Kiez verdammt wichtig, als Wohnviertel, wo unter den Leuten noch Nachbarschaftsgefühl herrscht. Ich kann mir vorstellen, dass Sie so was gar nicht kennen. Dazu muss man seinen Nachbarn nämlich vertrauen.»
    Scheuer hielt den Bus an und blickte über die Schulter. Ein paar Meter hinter uns kam der Krankenwagen mit unserer Leibgarde zum Stehen.
    «Alle mal herhören», sagte Scheuer. «Das hier ist eine Überwachung. Und es könnte sein, dass wir eine Weile in der Wohnung hocken, bis Erich junior sich blicken lässt. Also wird die CIA mit keinem Wort erwähnt. Auch keine Namen oder irgendwelche Begriffe aus der Branche. Und es wird nicht geflucht. Denkt dran, von nun an sind wir Mitarbeiter einer amerikanischen Bibelschule. Und das Erste, was wir gleich aus diesem Bus holen, sind zwei Kisten mit Bibeln. Okay. Auf geht’s. Schnappen wir uns den Mistkerl.»
    Aber als wir das Haus betraten und die Steinstufen hochmarschierten, hoffte ich fast, dass Erich Mielke sich nicht blicken lassen würde und alles so bleiben könnte wie bisher. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Kam das von der Anstrengung, eine Kiste mit Bibeln in den ersten Stock zu schleppen, oder hatte es andere Gründe? Vor meinem geistigen Auge spielten sich die Szenen ab, die uns bevorstanden, und ich spürte einen Anflug von Reue. Wäre ich doch bloß auf Kuba geblieben, sagte ich mir, dann wäre ich der CIA nicht in die Hände gefallen und nie in diesen ganzen Schlamassel reingeraten. Dann würde ich jetzt vielleicht in meiner Wohnung am Malecón sitzen und ein gutes Buch lesen oder mich in der Casa Marina von Omaras sinnlichem Körper verwöhnen lassen. Ob Mr. Greene noch da war und Brüste liebkoste? Manchmal wissen wir einfach nicht zu schätzen, wie gut es uns geht. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fragte ich mich, was aus der armen Melba Marrero geworden sein mochte, der kleinen Rebellen-
chica
, die auf meinem Boot den Marineoffizier angeschossen hatte. Saß sie in einem amerikanischen Gefängnis? Ich hoffte es für sie. Oder war sie wieder in Havanna, auf Gedeih und Verderb der korrupten Polizei dort ausgeliefert, wie sie befürchtet hatte? In dem Fall war sie höchstwahrscheinlich tot.
    Was machte ich eigentlich hier?
    «Wer hat denn die Schnapsidee mit der Bibelschule gehabt?», ächzte Hamer laut, als er die Kiste, die er hochgetragen hatte, im ersten Stock vor unserer Wohnung absetzte. Er musterte die Tür mit offensichtlichem Unmut. «Die Wohnung ist doch garantiert das letzte Loch. Ich hab schon Slums gesehen, die besser aussahen als diese Hütte.»
    «Vom Wohnzimmerfenster aus hat man wirklich einen sehr schönen Blick auf die Gaswerke», sagte ich.
    Doch in meinen Gedanken sah ich schon wieder CIA -Leute, die Mielke umstellten, sobald er kam, um seinen Vater zu besuchen, und ich konnte sie freudig schnaufen hören, während sie ihn in die Wohnung bugsierten, ihm Handschellen anlegten, einen Stoffbeutel über den Kopf stülpten und ihn zu Boden warfen. Vielleicht würden sie ihn treten und genauso misshandeln, wie ich getreten und misshandelt worden war, bis irgendwas in mir zerbrochen war, genau so, wie sie es gewollt hatten. Und ich begriff, dass aus mir genau das geworden war, was ich immer verabscheut hatte, dass ich eine unsichtbare Grenze von Anstand und Ehre überschritten hatte und drauf und dran war, der Faschist zu werden, der ich nie hatte sein wollen.
    «Hör auf zu meckern», sagte Scheuer und spähte nervös die Treppe hinauf zu dem Stockwerk über uns, wo er Erich Stellmachers Wohnung vermutete.
    Ich holte den Wohnungsschlüssel, den der Vermieter mir gegeben hatte, aus der Tasche und steckte ihn ins
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