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Missbraucht

Missbraucht

Titel: Missbraucht
Autoren: Reinhard Berk
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Durst. Die Arbeit in der Karl-Russell-Straße überließ er wohlweislich den Spezialisten vom Branddezernat, er selbst gab sich mit seiner Anwesenheit zufrieden und sah seine Pflichten mit seinem Erscheinen am Brandort erfüllt.
    Dass er auf dem Rückweg ins Polizeipräsidium einer älteren und im Straßenverkehr wohl zu umsichtig agierenden Dame, hinten aufs Auto gefahren war, setzte diesem ohnehin vermaledeiten Arbeitstag das berühmte Krönchen auf. Es war eine ganz leichte Berührung, die sich bei der ersten unfachmännischen Begutachtung, als für einen Laien nur schwer erkennbare kleine Delle herausstellte. Hinten rechts, auf der Kunststoffstoßstange des VW Jettas, war allenfalls eine Zweimarkstück große Beule zu erkennen. Richard hatte den Blinker der Frau gesehen, war aber der Annahme aufgesessen, dass sie in die Moselweißer Straße abbiegen wollte. Stattdessen bremste sie seiner Meinung nach viel zu scharf ab und bog abrupt in die Baedekerstraße, Richtung Marienhof ein. Der Kommissar hatte einen Moment nicht aufgepasst. In diesem, für ihn überraschenden Augenblick, touchierte er ihren Wagen. Richard musste sich die Schuld eingestehen. Die in seiner Wahrnehmung leicht senil wirkende Frau hatte vorschriftsmäßig geblinkt, um rechts abzubiegen und die Geschwindigkeit verringert. Wenn ihr dann jemand im Stadtverkehr ins Heck ihres Autos fährt, und sei es ein Polizeikommissar im Dienst, ist die Schuldfrage in der Regel schnell geklärt. Richard stieg aus und stellte intuitiv die blau blinkende Warnleuchte auf das Dach des Dienstpassats. Die ebenfalls inzwischen ausgestiegene und wild gestikulierende Frau war sofort beeindruckt. Sie ließ die fuchtelnden Arme sinken und hörte mit offenem Mund zu, als Richard sich als Kommissar Mees, von der Kripo Koblenz vorstellte und auswies. Sie konnte es sich wahrscheinlich in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen, dass ein Polizist in einen Verkehrsunfall verwickelt sein konnte.
    "Mein Name ist Mees, Kommissar Mees. Ich denke, wir haben ein kleines Problem", Richard lächelte die Dame entwaffnend freundlich an. Insgeheim ärgerte er sich mächtig über sie. Die Situation setzte immense aggressionsfördernde Assoziationen in ihm frei, die es zu unterdrücken galt. Inzwischen hatte sich schon ein kleiner Rückstau bis auf die Europabrücke gebildet. Er war allenfalls dreihundert Meter von seiner Dienststelle entfernt und dann das. Peinlicher ging es kaum. "Wir sollten sehen, dass wir die Autos von der Straße wegbekommen, Polizei brauchen wir keine, die ist ja schon da", Richard lächelte die Frau erneut an. Er bemühte sich um einen ruhigen und vertrauten Ton. Jedwede Angriffslust der irritiert wirkenden Dame war im Keim erstickt. Sein professioneller Umgang mit der Situation ließ sie alles staunend abnicken, was er ihr vorschlug.
    Frau Altmeier war einundsiebzig Jahre alt und von kleiner, eher schmächtiger Statur. Sie trug eine weiße, ärmellose Bluse, eine beige Bundfaltenhose und hellbraune Sandalen. Ihr kurzes, schwarzes Haar war mit grauen Strähnen durchsetzt. Die Brille, die sie nur beim Autofahren trug, war nun wie ein Haarband hoch auf ihre Stirn geschoben. Richard fiel auf, dass Frau Altmeier auf jegliches Make-up verzichtet hatte. Sie schien sich intensiv der Sonne ausgesetzt zu haben, so gebräunt, wie sie war. Dennoch machte die Frau insgesamt nicht den Eindruck unbedingt krampfhaft jünger wirken zu wollen, als sie es tatsächlich war. Viele Damen in ihrem Alter scheitern oftmals grandios an diesem Vorhaben, ohne zu merken, wie sehr sie sich der Lächerlichkeit preisgeben. Frau Altmeier war nicht allein unterwegs, sie befand sich in Begleitung eines jüngeren Mannes. Seltsamerweise zog er es vor, im ersten Augenblick im Auto sitzen zu bleiben, was den Kommissar etwas verwunderte. Schließlich stieg er doch aus und besah sich das entstandene Malheur. Während viele Männer gerne dahin tendieren, jeden noch so kleinen Blechschaden als mittleren Weltuntergang zu deuten, schien dieser Herr es als das zu interpretieren, was es auch war, nämlich eine Bagatelle. Mit starkem osteuropäischem Tonfall redete er von Herausdrücken, Spachteln und Überlackieren. Richard zuckte beipflichtend mit den Schultern und lächelte Frau Altmeier weiterhin an, als ihr Begleiter seine Analyse abgab. Auf die freundliche Nachfrage von Richard erklärte die Dame, dass ihr Begleiter ein gebürtiger Pole sei. Herr Rudy stammte aus Posen und war etwa Mitte fünfzig, was sich
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