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Missbraucht

Missbraucht

Titel: Missbraucht
Autoren: Reinhard Berk
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höchstens wenn du auf die Toilette musst. Richard hatte immer was in den Händen. Am Anfang seiner Polizeilaufbahn war es meist eine Akte, doch mit zunehmender Erfahrung, hatte er festgestellt, dass ein einzelner beschrifteter Zettel den gleichen Zweck erfüllte und dabei viel angenehmer zu tragen war. Die Effizienz litt zwar darunter, aber nach seiner eigenen Berufsauffassung, die erheblich vom Polizeialltag abwich, war er schließlich nicht als Schreibkraft zur Kriminalpolizei gegangen. Nein, Richard wollte Verbrechen aufklären und Mörder überführen.
    Um dreizehn Uhr wurde Kommissar Mees vertretungsweise für seinen Kollegen Berk zu einem Wohnhausbrand in der Karl-Russell-Straße, auf der anderen Seite der Mosel geschickt. Ein technischer Defekt im Stromverteilerkasten eines Einfamilienhauses hatte einen Brand ausgelöst. Die 41-jährige Schwester der Hauseigentümerin, die sich allein in dem Anwesen befand, war eingeschlafen und bemerkte das Feuer zunächst nicht. Erst als das gesamte Obergeschoss bereits in Flammen stand, rief sie um Hilfe. Obwohl die Feuerwehr umgehend nach erfolgter Alarmierung vor Ort war, entstand am Gebäude großer Sachschaden. Die Frau kam trotz der großen Feuerentwicklung, bis auf einen Schock und eine leichte Rauchvergiftung relativ unbeschadet davon. Routinemäßig rückte die Kripo an, um die Umstände des Brandes zu untersuchen. Kommissar Berk vom Branddezernat wurde zum vierten Mal Vater und wollte seiner Frau unbedingt während der Geburt Beistand leisten. An diesem Mittwoch, kurz vor Mittag wurde er darüber informiert, dass man beabsichtigte, den Geburtsvorgang gegen zwölf Uhr einzuleiten. Er machte sich sofort auf den Weg ins Elisabeth-Krankenhaus nach Neuwied, wo Frau Berk seit über einer Woche auf der Entbindungsstation lag und bisher vergeblich auf das Einsetzen der Wehen wartete. Der errechnete Termin war inzwischen fünf Tage überfällig und die Ärzte hatten sich nach eingehender Beratung entschlossen, die Geburt künstlich herbeizuführen. Sie hegten die Befürchtung, dass es wohl möglich zu Komplikationen kommen könnte. Dass genau zu diesem Zeitpunkt das Feuer ausbrach, erwies sich im Nachhinein für Kriminalkommissar Mees, der als Ersatz für seinen Kollegen einsprang, als ärgerlicher Zufall. Das Branddezernat war krankheitsbedingt und durch die Urlaubszeit personell unterbesetzt und so war es nicht außergewöhnlich, dass ein Beamter vom K11 als Ersatzmann aushalf. Nichts ahnend, dass die Vertretung ihm Ärger und Umstände einbringen sollte, war Richard zu Anfang über die Gelegenheit die Dienststelle zu verlassen und die Kollegen zu unterstützen, höchst erfreut. Nach Innendienst stand ihm an diesem Tag gar nicht der Sinn. Kommissar Mees hielt den Wunsch des Kollegen bei der Niederkunft dabei zu sein, zwar nicht für unmännlich, aber ihn beschlich ein Gefühl unterschwelligen Neides. Er fühlte ein Stück Eifersucht in sich, dass Kommissar Berk bei solch einer wichtigen Begebenheit die Chance bekam, anwesend und vielleicht hilfreich zu sein. Als seine Tochter geboren wurde, lag Richard sturzbetrunken zu Hause im Bett und war nicht in der Lage auch nur einen Meter zu fahren. Dabei hatte er mit seiner Frau das Ereignis hundertmal durchgesprochen, ihr tausendmal versichert, wie wichtig es für ihn wäre, bei der Geburt dabei zu sein und ihr zehntausendmal seine Unterstützung während der Entbindung zugesagt.
    Er hatte es versaut und machte sich deshalb in den ganz besonderen Momenten seines Lebens Vorwürfe. Zu seiner Verteidigungsstrategie gehörte es dann, sich einzureden, dass sein Kreislauf bestimmt kollabiert und er im Kreißsaal zusammengeklappt wäre. Aus diesem Grund machte es im Nachhinein, für sein Dafürhalten keinen Unterschied, ob er bei der Niederkunft dabei gewesen war oder nicht.
    Der Auftrag, die Brandstelle aufzusuchen, kam ihm sehr entgegen. Erstens war es ein brütend heißer Tag, das Thermometer zeigte 31 Grad im Koblenzer Becken und zweitens ging es ihm nicht besonders gut. Dieser Umstand war der Tatsache geschuldet, dass er die gestrige Punkteteilung alkoholtechnisch zu intensiv aufgearbeitet hatte. Deshalb war er froh, als er die Dienststelle verlassen und sich auf diese Art etwas vom stickigen Büroalltag ausklinken konnte. Die Luft tat ihm trotz der Hitze, die wie eine Glocke über der Stadt stand, merklich gut. Richard Mees war einfach nicht geschaffen für die Büroarbeit, er war ein Mann für "die Straße". Außerdem hatte er
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