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Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman

Titel: Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Autoren: Florian Tausch
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als der andere. Hallo! Wie geht’s? Wie aufregend! Wie schön! Alle quatschten durcheinander, zupften am Brautkleid herum, polierten dies, organisierten das - während ich in der Dusche war, hatte sich die Wohnung in einen Jahrmarkt verwandelt. Eine Hand fest um den Umschlag in der Bademanteltasche geschlossen, trat ich schließlich aus dem Badezimmer und geriet in einen Sturm aus Begrüßungsküssen und verfrühten Glückwünschen. Es dauerte einige Sekunden, bis ich die Orientierung wiedergefunden hatte, dann machte ich mich mühsam los.
    Panisch verschanzte ich mich im Schlafzimmer, wo ich halbnackt auf und ab tigerte. Manchmal rüttelte es an der Tür, und mein Name wurde gerufen, doch ich wimmelte jeden ab. Mein stilles Gespräch mit Benjamin Franklin hatte noch zu keiner endgültigen Entscheidung geführt.
    »Nick, mein Schatz! Was ist mit dir? Wo steckst du?«
    Diesmal war es Lien, die mich aus dem Kabuff locken wollte.
    »Moment!«
    »Sieh dir doch mal deine Zukünftige an! Kleid, Make-up, Haare - alles fertig.«
    Ich sprang in meinen Anzug und entriegelte die Tür. Dahinter: Die Braut in vollem Ornat. Ein Anblick, der definitiv verführerischer ist als das Antlitz von Benjamin Franklin.
    »Alles klar mit dir, Nick? Du siehst merkwürdig aus …«
    Ich wollte mich mit einem stillen Kuss vor einer Antwort drücken, doch Lien duckte sich vor mir weg.
    »Vorsicht! Mein Make-up! Geknutscht wird erst heute Abend wieder.«
    »Hoffentlich werde ich das so lange aushalten«, bemühte
ich mich um einen beschwingten Ton, wenngleich mir die Frage in den Sinn kam, ob sich unsere Lippen jemals wieder berühren würden. Der Gedanke zog mir die Beine weg. Angezählt wie ein Boxer taumelte ich zum Badezimmer.
    »Nick! Beeil dich! In fünf Minuten kommen die Taxis«, hörte ich noch meinen Trauzeugen rufen, dann war ich wieder mit den Engelchen und Teufelchen auf meinen Schultern allein. Ich beugte mich über das Waschbecken und ließ mir minutenlang kaltes Wasser ins Gesicht laufen. Wieder klopfte jemand an die Türe: »Mach schnell! Ich muss auch noch mal!« Wie sollte man da einen klaren Gedanken fassen? Ich setzte mich auf den Rand der Badewanne, starrte den befremdlich wirkenden Kerl an, der mein Spiegelbild war, und holte tief Luft. Was für ein Mensch war ich? Was erwartete ich mir vom Leben? Was machte mich wirklich glücklich? Nachdenklich fächerte ich durch die Dollarscheine in meiner Hand. Dann fiel mein Blick auf die Notiz, die ich vorher nicht beachtet hatte. In absolut ebenmäßiger, kantiger Schrift stand dort geschrieben:
    Setz dich mit mir in Verbindung, um die Details für die Geldübergabe zu regeln: [email protected]
    Seine Siegessicherheit kotzte mich an. Doch durch seine so überlegen formulierte Forderung schimmerte auch etwas anderes: die Angst, es nicht zu schaffen. Die Angst, nicht das zu bekommen, was er erwartete. Hatte Ebi nicht unendlich viel mehr, als er mir anbot? Und trotzdem war er ohne Lien nicht glücklich. Er ließ mich zusammenschlagen; kaufte meine Firma, um mir zu kündigen; lauerte mir nachts bei Eiseskälte stundenlang auf; bot mir Geld für Lien.

    Sah so ein Mensch aus, der mit sich und seinem Leben zufrieden ist? Machte ihn sein dickes Bankkonto glücklicher als diese Frau? Wohl kaum!
    Warum sollte es mir anders gehen?
    Ich lupfte mit dem Fuß den Toilettendeckel, zerknüllte den Zettel und warf ihn hinein. Dann weilte mein Blick noch einmal auf dem Antlitz von Benjamin Franklin. Mir fielen seine 13 Tugenden zur sittlichen Vervollkommnung ein. Nicht alle hatten mir als 16-Jährigem zugesagt (es gab einen Punkt namens Keuschheit), aber eine Regel des Staatengründers hatte schon damals großen Eindruck auf mich gemacht:
    Entschlossenheit - nimm dir vor durchzuführen, was du musst; vollführe unfehlbar, was du dir vornimmst!
    »Dann muss ich mich wohl von dir verabschieden, Benni«, sprach ich halb zu dem grünen Gesicht, halb zu mir selber, zerriss einen Schein und ließ ihn in den Schlund der Toilette rieseln. Dann noch einen. Und noch einen. Schließlich zerriss ich befreit und voller Begeisterung das ganze Bündel. Selbst um Franklins dünne Lippen schien nun ein feines, zufriedenes Lächeln zu spielen, während Konterfei um Konterfei in der Schüssel landete.
    Dann zog ich die Spülung.
    Die zerfetzten Überbleibsel von 25.000 Dollar fingen an, sich zunächst schwerfällig, dann immer schneller zu drehen, und gurgelten schließlich unwiederbringlich den Lokus hinunter.
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