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Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman

Titel: Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Autoren: Florian Tausch
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Kopf, am Morgen einen ausgewachsenen Kater und eine missglückte Hochzeitsnacht dazwischen.
    Aber ich hatte kaum Zeit, darüber nachzudenken, denn schon wurde der Nachtisch serviert. Das untrügliche Zeichen zum Aufbruch! Kaum fünf Minuten später hatte sich das ganze Ensemble komplett geleert. Hunderte Gäste strömten zeitgleich in Richtung Ausgang, wo das mittlerweile leicht derangierte Brautpaar schon wieder Stellung bezogen hatte. Die Prozedur wirkte wie ein rückwärtsgespielter Film der Begrüßung: Noch einmal bedanken, noch ein Foto, ein »Auf Wiedersehen«, die Menschenmassen fluteten zurück auf die Straße. Nach knapp zweieinhalb Stunden war alles vorbei. Eine merkwürdige Veranstaltung - und doch wünschte ich mir nichts so sehr, als dass auch ich sie bald feiern durfte.
    Auf dem Weg zur Verabredung mit Lien konnte ich den allgegenwärtigen Anzeichen der Hochzeitssaison nicht entkommen: Blumenautos kreuzten meinen Weg, Brautpaare standen Spalier vor Hoteleingängen, Hochzeitspaläste hatten ihre Werbebanner quer über die Straße gespannt (»Großer Rabatt: Pro 10er-Tisch nur 1,5 Millionen Dong!«). Doch viel nahm ich davon gar nicht wahr, denn meine Gedanken waren ganz auf das vor mir liegende Treffen fokussiert. Wie ein Mantra murmelte ich ein ums andere Mal die Worte, die ich Lien gleich sagen wollte. Wie sie darauf reagieren würde? Immerhin musste ich sie davon überzeugen, Familie und Vaterland zu verlassen, um mit einem Arbeitslosen nach Deutschland auszuwandern. Es gibt sicherlich bessere Nachrichten, die man überbringen könnte.
    Zumindest hatte ich ein gutes Gefühl bei der Wahl der Location, die ich für mein Vorhaben ausgewählt hatte. Am unteren Ende der Prachtstraße Dong Khoi, direkt am Saigon River, steht das Majestic Hotel, aufgrund seiner Lage und Tradition eine der besten Adressen der Stadt. Gäste habe ich dort dennoch nie eingecheckt, denn innen präsentierte sich das Hotel lange Zeit im schmuddeligen Kommunistenbarock und mit einem einzelnen, engen, quietschenden Fahrstuhl. Wer aber die ruckelige Fahrt ganz nach oben antritt, für den hält das Majestic etwas Besonderes bereit: Zunächst das Restaurant auf dem Dach. Schön, aber nicht spektakulär. Doch am hinteren Ende geht es weiter. Dort gelangt man über einige Stufen auf eine Freiluftgalerie, die über dem Restaurant schwebt. Für die meisten ist hier Schluss. Nur Neugierige entdecken eine enge Wendeltreppe aus Metall, die noch einmal vier, fünf Meter in die Höhe führt. Zugang nur für Personal , würde man vermuten. Doch es lohnt sich hinaufzusteigen,
denn dort oben befindet sich einer der verschwiegensten Orte Saigons: Eine winzige Terrasse mit nur drei Tischen und einem grandiosen Panorama.
     
    Natürlich war ich viel zu früh dort. Die Abendsonne stand die letzten Minuten am Himmel und lackierte die Fassaden der neuen Hochhäuser des ersten Bezirks mit goldenem Licht. Noch konnte man weite Teile der Stadt von hier aus betrachten. Aber es war schon abzusehen, dass diese Aussicht nur noch ein, zwei Jahre erhalten blieb, bevor einem die aus dem Boden schießenden Wolkenkratzer komplett den Blick versperren würden. Als ich mich umdrehte, schaute ich auf eine völlig andere Welt: Direkt am Hotel verläuft die Uferpromenade des Saigon River. Schiffe aller Art und Größe tummelten sich auf dem etwa hundert Meter breiten Fluss; eine mit Menschen, Waren und Motorrädern vollgestopfte Fähre pendelte direkt unter mir stetig hin und her. Am Ufer gegenüber flackerten nun eine Reihe überdimensionierter Leuchtreklamen auf, die ihre Botschaften über das Wasser hinweg ins Stadtzentrum brüllten: Siemens! Tiger Beer! VinaFon!
    Dahinter: Nichts.
    Plattes Land, Felder, ein paar Schotterwege, auf denen sich die Silhouetten von Frauen mit Spitzhüten abzeichneten. Vereinzelt stachen ein- oder zweistöckige Häuser aus dem Palmenwald. Vom Dach des Majestic aus konnte man bis an den Horizont blicken, an dem einem schon die ersten Wasseradern des Mekongdeltas entgegenfunkelten. Flussabwärts entdeckte ich ein markantes, freistehendes Haus, das Ho-Chi-Minh-Museum. Direkt dahinter schloss sich der Hafen an, über den nun wieder Waren und sogar Kreuzfahrtschiff-Touristen in das lange völlig isolierte Land kamen.

    Ich lehnte mich auf das Geländer der Terrasse und konnte mich nicht dagegen wehren, über eines der abgedroschensten Klischees zu sinnieren: Wie dicht die Gegensätze des Lebens beieinanderliegen. Und wie schnell man auf der
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