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Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman

Titel: Miss Saigon der Hund der Japaner und ich Roman
Autoren: Florian Tausch
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freiwillig.«
    Es war nicht nur der Jetlag, der meine müden Glieder ins Bett zerrte. Zwar will ich nicht leugnen, dass die Heerscharen aufgetakelter Bargirls und die Atmosphäre von schnell verfügbarem Sex, die sich wie eine schwere Decke über die Szenerie legte, eine eigentümliche Faszination ausstrahlten. Doch unter der süßen Verführung stach ein schaler Geschmack hervor. Die Mädchen. Die Freaks. Mein geiferndbeseelter Boss. Es war aufregend, aber auch widerlich. Es war definitiv zu viel. Ich wollte nur noch zu meinen beiden röhrenden Hirschen ins Hotel zurück.
    »Mir reicht’s. Ich mache mich auf den Weg.« Endlich hatte ich eine eigene Entscheidung getroffen.
    »Alles klar. Ich werde dann auch das Weite suchen.« Jürgen ging zu den Mädchen und drückte jede von ihnen kurz an seinen massigen Leib. Dann kam er wieder zu mir herüber.
    »Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass du heute alleine hier raus gehst«, zwinkerte ich ihm zu.
    Jürgen baute sich vor mir auf und fuhr mich scharf an: »Also hören Sie mal, junger Freund! Halten Sie mich für einen Mann, der sich Frauen kauft ?! Ich habe einfach ein wenig
Spaß - sonst nichts!« Die Entrüstung war gespielt, aber ich spürte, dass er auch ernsthaft etwas klarstellen wollte.
     
    Auf dem kleinen Platz vor dem »Apocalypse Now« waren trotz der späten Stunde noch mobile Garküchen aufgebaut. Eine Handvoll Kleinkinder hängte sich sofort an unseren Rockzipfel, um Kaugummis, Zigaretten oder Postkarten zu verkaufen. Jürgen scheuchte sie fort und fragte mich dann:
    »Kannst du mit dem Motorradtaxi nach Hause fahren? Ich muss in eine ganz andere Richtung.«
    An der Ecke standen drei Fahrer. Schon ein Blick in ihre Richtung entfachte unter ihnen einen lautstarken Disput, wer die lukrative Beute einsacken durfte.
    Es war merkwürdig: Erst stritten sich die Frauen um mich, jetzt die Männer. Doch das war kein Grund, sich geehrt zu fühlen - auch ohne die Kapazitäten meines Denkvermögens zu überlasten, war mir klar, dass alle nur auf Ho Chi Minh scharf waren, dessen Konterfei die Dong-Scheine in meiner Tasche zierte.
    Schließlich löste sich ein zahnloser Alter aus der Fahrer-Guppe und rollte auf einem Gefährt heran, das wahrscheinlich aus seinem Geburtsjahr stammte.
    Die üblichen Verhandlungen über Ziel und Preis.
    Aufgeschwungen.
    Losgerollert.
    Etwas zuckte in meiner Nase. Ich sog schnuppernd die Luft ein. Trotz des Fahrtwindes umschwallte mich eine Fuselfahne, die nicht nur auf halbmast hing. Mein Fahrer war offensichtlich randvoll.
    »Stopp!«
    Ich hatte bei meinen vorigen Vietnambesuchen bereits
das zweifelhafte Vergnügen gehabt, auf der Straße liegenden Opfern von Motorradunfällen ins offene Hirn schauen zu dürfen. Meines wollte ich so schnell nicht auf dem Asphalt verteilen.
    »Stopp!«
    Endlich verlangsamte er die Fahrt. Ich sprang ab und drückte ihm das vereinbarte Geld in die Hand, bevor er eine Diskussion anzettelte. Dann machte ich mich zu Fuß wieder zurück zum »Apocalypse Now«, um dort einen nüchternen Chauffeur zu finden.
    Gerade als ich mich dem Platz vor dem Club näherte, bog am anderen Ende ein weißer Wagen um die Ecke, auf dessen Seite ein Logo prangte: »Viet Duc Advertising«.
    Jürgen parkte, stieg aus und steuerte mit leicht federnden Schritten auf den Eingang zu.
    Mein neuer Chef hatte anscheinend mehr Facetten, als er mir zeigen wollte.

6.
    Wer sich selber noch nie in völlig fremde Lebensumstände manövriert hat, wäre erstaunt, wie wandlungsfähig der Mensch ist. Wie rasch er sich auf neue Realitäten einstellen kann. Wie schnell der Lack der Exotik abblättert - und sich zum Beispiel herausstellt, dass der alte Mann mit den lachenden Augen, dem faltigen Gesicht und dem ergrauten Spitzbart doch kein weiser Erleuchteter ist, sondern nur ein prolliger Hausmeister.
    Bereits wenige Wochen nach meiner Ankunft war es für mich selbstverständlich, morgens vom Ruf der Melonenverkäufer geweckt zu werden, mit meiner 50er-Jahre Vespa durch das Motorradchaos zu gondeln und den Arbeitsalltag auf Englisch und Vietnamesisch zu bestreiten. Es war Normalität, mittags auf knöchelhohen Plastikschemeln sitzend Nudelsuppe zu löffeln, den Preis meiner Zigaretten zu erfeilschen und abends mit vietnamesischen Kollegen einen Karaoketempel zu besuchen oder mit anderen Ausländern im Team der »Saigon Raiders« Fußball zu trainieren.
    Deutschland? Berlin? Die Situation, die mich an dieses Ende der Welt verschlagen hatte?
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