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Miss Pettigrews grosser Tag

Titel: Miss Pettigrews grosser Tag
Autoren: Winifred Watson
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unwiderstehlich für Frauen, im Vollgefühl seiner Macht, und kalt wie ein Fisch, wenn die flüchtige Anwandlung vorbei war. Dutzende Male hatte Miss Pettigrew gesehen, wie ein Bösewicht die Filmheldin umgarnte und diese um ein Haar ins Unglück stürzen ließ. Doch hier gab es keinen Helden, der Miss LaFosse hätte retten können.

    »Merkwürdig«, dachte Miss Pettigrew ratlos, »man liest von solchen Männern, man sieht sie im Film, man rechnet nie damit, ihnen im normalen Leben zu begegnen, aber sie existieren tatsächlich.«
    Miss LaFosse wich vor ihrem Besucher zurück. Eben noch hatte sie so zufrieden geblickt wie eine Katze nach dem Sahneschlecken, doch nun waren Anzeichen von nervöser Anspannung in ihrem Gesicht zu lesen. Nick bemerkte Miss Pettigrew. Augenblicklich verfinsterte sich seine Miene. Er warf Miss LaFosse einen aufgebrachten, fragenden Blick zu.
    »Oh!«, sagte Miss LaFosse. »Das ist meine Freundin … meine Freundin … Alice.«
    Sie sammelte sich und brachte schließlich eine etwas höflichere Form der Bekanntmachung zustande.
    »Alice, darf ich dir Nick vorstellen. Nick, das ist meine Freundin Alice.«
    »Guten Tag«, sagte Miss Pettigrew artig.
    »Tag«, erwiderte Nick knapp.
    Er musterte sie kurz, und sofort standen Miss Pettigrew ihr Alter, ihre unmodische Kleidung, ihre eckige Figur, ihr strähniges Haar und ihr fahler Teint vor Augen. Sie wurde flammend rot. Ihr Verstand sprach eindeutig gegen den Besucher; ihre Gefühle lagen ihm zu Füßen.
    Es lag nicht allein an seinem guten Aussehen. Das war nur eine Zugabe, hilfreich natürlich, aber nicht unbedingt notwendig. Es war etwas, das in dem Mann selbst begründet lag. Im Nu beherrschte er den Raum. Frauen jeder Gesellschaftsschicht würden sich auf der Stelle darum reißen, von ihm wahrgenommen zu werden. Vielleicht verfügte er über eine Ausstrahlung, die das Weibliche in jeder Frau herausforderte. Miss Pettigrew spürte sie. Und sprach darauf an, ob sie wollte oder nicht. Ihre weiblichen Antennen
spielten ihr einen Streich, und sie hätte zehn Jahre ihres Lebens dafür gegeben, von diesem Mann nur einmal so geküsst zu werden, wie er Miss LaFosse geküsst hatte. Fast hasste sie Miss LaFosse wegen ihrer Jugend, ihrer Schönheit, ihrer Reize. Aber nicht lange. So dumm war sie nun doch wieder nicht.
    Er war kein guter Mensch. Das wusste Miss Pettigrew, nicht nur aus Miss LaFosses Schilderungen, sondern auch, weil er eben – so etwas an sich hatte. Das machte ihn ja gerade so faszinierend. Miss Pettigrew war sich der unterschwelligen Anziehungskraft einer Spur Bösartigkeit – im Gegensatz zu einem Übermaß an fader Tugendhaftigkeit – sehr wohl bewusst.
    »Oje!«, dachte sie. »Diese Männer. Sie sind böse, aber was macht das schon. Gegen sie kommen die guten Männer einfach nicht an. Wäre Michael doch nur ein bisschen weniger lieb und brav, dann hätte er vielleicht eine Chance, aber so wie die Dinge stehen – was will ein gewöhnlicher Mann gegen einen wie diesen hier schon ausrichten? Es ist zwecklos, wir Frauen können nicht anders. Wenn es um Liebe geht, sind wir die geborenen Abenteurerinnen.«
    Sie seufzte. Das würde eine heikle Angelegenheit werden. In ihrer Aufregung vergaß sie völlig, dass sie womöglich schon im nächsten Augenblick vor die Tür gesetzt werden mochte. Mittlerweile fühlte sie sich so vollständig eins mit Miss LaFosse, als hätte sie sie schon ihr ganzes Leben lang gekannt.
    Miss LaFosse beäugte ein wenig nervös ihre beiden Besucher. Ihr Lächeln war nicht mehr so reizend siegesgewiss wie zuvor, sondern das einer Frau, die trotz sehnlichster Wünsche Zweifel an ihrer uneingeschränkten Macht über einen Mann beschlichen.

    »Nun komm, setz dich erst einmal«, sagte Miss LaFosse in besänftigendem Ton zu Nick.
    »Ach herrje«, dachte Miss Pettigrew, »die andere Haltung ist doch bei Weitem die beste. So etwas wie … majestätische Gleichgültigkeit. Diese Sorte Mensch respektiert das. Sobald er denkt, du gehörst ihm mit Haut und Haaren, ist er für dich verloren.«
    Fast staunte sie über ihre Lebensklugheit. Sie musste ihn im Stillen ›diese Sorte Mensch‹, ›Emporkömmling‹, ›Scharlatan‹ nennen, um nicht Gefahr zu laufen, sich in ihn zu verlieben. Wenn er sie nur einmal so ansähe und küsste, wie er Miss LaFosse ansah und küsste, wäre sie ihm rettungslos verfallen.
    »Wer hätte das gedacht«, sinnierte Miss Pettigrew, »in meinem Alter? Was bin ich doch für ein dummes Weib. Als
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