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Miss Pettigrews grosser Tag

Titel: Miss Pettigrews grosser Tag
Autoren: Winifred Watson
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oder länger in einer verzauberten Welt voll schöner Frauen, gut aussehender Helden, faszinierender Bösewichte und reizender Dienstherren lebte und in der es weder herrische Eltern noch missratene Sprösslinge gab, die sie in jedem wachen Augenblick piesackten, plagten, peinigten und bedrängten. Im wahren Leben hatte sie
noch niemals eine Frau in einem Spitzennegligé aus Seide und Satin zum Frühstück erscheinen sehen. Im Film hingegen kam das ständig vor. Eine dieser Traumgestalten in Fleisch und Blut vor sich zu erblicken, überstieg genau genommen ihr Fassungsvermögen.
    Doch Miss Pettigrew sah auch noch etwas anderes, ihr Wohlbekanntes: Angst. Die furchtsame Anspannung im Gesicht der jungen Frau löste sich beim Anblick von Miss Pettigrew in strahlende Erleichterung auf.
    »Ich bin hergekommen …«, setzte Miss Pettigrew nervös an.
    »Wie spät ist es?«
    »Bei meinem ersten Klingeln war es Punkt zehn. So wie Sie es angegeben haben, Miss … Miss LaFosse? Ich klingle schon seit etwa fünf Minuten. Jetzt ist es fünf nach zehn.«
    »Ach du meine Güte!«
    Die erstaunliche junge Dame brach die Befragung abrupt ab und verschwand irgendwohin. Sie bat Miss Pettigrew nicht, näher zu treten, doch angesichts des Ernsts ihrer Lage fasste Miss Pettigrew Mut, trat ein und schloss die Tür hinter sich.
    »Wenigstens will ich sie um ein Vorstellungsgespräch bitten«, dachte sie.
    Sie sah eben noch wehenden Stoff durch eine weitere Tür verschwinden und hörte gleich darauf eine drängende Stimme sagen:
    »Phil. Phil. Du fauler Hund. Steh auf. Es ist halb elf.«
    »Neigt zu Übertreibungen«, dachte Miss Pettigrew. »Kein guter Einfluss für Kinder, ganz und gar nicht.«
    Nun kam sie dazu, sich umzusehen. Prächtige Kissen zierten noch prächtigere Stühle und ein Chesterfield-Sofa. Ein dicker, samtiger Teppich mit einem seltsamen futuristischen Muster verschönte den Boden. An den Fenstern
hingen wundervolle, schier atemberaubende Vorhänge und an den Wänden Bilder, die … nun ja, nicht ganz schicklich waren, befand Miss Pettigrew. Ziergegenstände jeder Farbe und Form schmückten Kaminsims, Tisch und Regale. Nichts passte zueinander, alles war von einer solch exotischen Pracht, dass es einem den Atem verschlug.
    »Nicht das Zimmer einer Dame«, dachte Miss Pettigrew. » Nicht die Sorte Zimmer, die meine liebe Mutter gutgeheißen hätte.«
    Und doch … aber ja! Ganz unbedingt das passende Zimmer für das liebliche Geschöpf, das so unvermittelt daraus verschwunden war.
    Miss Pettigrew warf einen streng missbilligenden Blick in die Runde, doch trotz allem regte sich etwas in ihr, das sie in helle Aufregung zu versetzen drohte. In Räumen wie diesem tat sich etwas, fielen seltsame Dinge vor, wohnten wundersame Geschöpfe wie das, das ihr eben noch Fragen gestellt hatte. Und deren Leben war prall, aufregend, gefährlich.
    Welch kapriziöse Gedanken. Miss Pettigrew zügelte ihre Fantasie und zwang sie wieder zu praktischen Überlegungen zurück.
    »Kinder«, sinnierte Miss Pettigrew. »Wo um alles in der Welt könnte man hier Kinder unterrichten oder mit ihnen spielen? Jeder Schmutzfleck, jeder Tintenklecks auf diesen Kissen wäre eine Todsünde.«
    Durch die geschlossene Tür des – so Miss Pettigrews Vermutung – Schlafzimmers ließ sich eine lebhafte Auseinandersetzung verfolgen. Ein Mann knurrte sanft:
    »Nun komm schon wieder ins Bett.«
    Worauf Miss LaFosse schrillte:
    »Wo denkst du hin, du elender Langschläfer. Ich für mein Teil bin wach und habe heute Morgen jede Menge zu erledigen. Du kannst hier nicht bis Mittag liegen bleiben
und weiterschnarchen, weil ich nämlich das Zimmer aufräumen will.«
    Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür, und Miss LaFosse kam wieder zum Vorschein, gefolgt von einem Mann in einem seidenen Morgenmantel von solch schillernden Farben, dass Miss Pettigrew unwillkürlich die Augen zusammenkniff.
    Ängstlich stand sie da, die Handtasche mit zitternden Fingern umklammert, jeden Moment der frostigen Frage gewärtig, was sie hier eigentlich zu suchen habe. Vor Aufregung bekam sie Hitzewallungen. Bei Vorstellungsgesprächen hatte sie immer schon eine denkbar schlechte Figur abgegeben. Mit einem Mal fühlte sie sich bereits vor Beginn der Schlacht verschreckt, geschlagen, allein auf weiter Flur. Nie wieder würden ihr Menschen wie diese … oder sonst irgendein Arbeitgeber … auch nur einen roten Heller für ihre Dienste zahlen. Sie warf sich, so gut es ging, in die Brust
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