Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Miss Pettigrews grosser Tag

Titel: Miss Pettigrews grosser Tag
Autoren: Winifred Watson
Vom Netzwerk:
aufrichtigen Besorgnis, gestand
Miss Pettigrew sich einigermaßen schuldbewusst ein, dass sie noch nie etwas so Fantastisches, Elektrisierendes und Aufregendes erlebt hatte. »Das«, dachte sie, »ist Leben. Bisher habe ich überhaupt noch nicht gelebt.«
    Aber Mitgefühl allein reichte nicht aus. Das hübsche Kind wollte Taten sehen. Miss Pettigrew befand sich zum ersten Mal in ihrem Leben in einer derart kitzligen Lage. Was sollte sie tun? In heller Panik durchforstete sie ihre Vergangenheit. Aus welcher Erfahrung konnte sie schöpfen? Sie dachte an ihre Stellung in Golder’s Green bei Mrs. Mortleman, die ihren fürchterlichen Gatten so gut im Griff gehabt hatte. Wenn doch nur … Wie aus dem Nichts durchströmte Miss Pettigrew eine wundersame, übermächtige Gewissheit. Dieses bildschöne Geschöpf glaubte an sie. Und sie würde sich dessen würdig erweisen. Was eine Mrs. Mortleman konnte, würde eine Miss Pettigrew doch wohl auch können?
    »Ich habe noch nie in meinem Leben jemandem eine dicke, fette Lüge aufgetischt«, sagte Miss Pettigrew, »und nur sehr selten eine kleine, harmlose, aber es ist sicherlich nie zu spät, um damit anzufangen.«
    »Er darf nicht merken, dass ich ihn von hier forthaben will. Unter keinen Umständen.«
    »Das wird er nicht.«
    Miss LaFosse umarmte Miss Pettigrew stürmisch und gab ihr einen Kuss.
    »Ach, Sie Goldschatz! Wie kann ich Ihnen nur danken? O danke, danke … sind Sie denn auch ganz sicher, dass Sie das schaffen?«
    »Überlassen Sie alles mir«, sagte Miss Pettigrew.
    Miss LaFosse wandte sich zur Tür. Ruhig und beherrscht, durch und durch Herrin der Lage, wies Miss Pettigrew sie sanft zurecht: »Sie haben den Kaffee vergessen.«

    Miss Pettigrew füllte die Kaffeekanne auf und trug sie zurück ins Wohnzimmer – mit wild pochendem Herzen, hochroten Wangen, zittrig vor Anspannung, und doch wie berauscht von all dem, was da geschah. Miss LaFosse schlich ergeben hinterher.
    Miss Pettigrew nahm Platz, goss sich und Miss LaFosse eine weitere Tasse Kaffee ein und ließ, überaus taktvoll, einige Minuten verstreichen. Phil schien sich bis auf Weiteres nicht vom Fleck rühren zu wollen. Deshalb beugte sich Miss Pettigrew schließlich vor, bedachte ihn mit einem gewinnenden Lächeln und sagte:
    »Junger Mann, ich bin eine vielbeschäftigte Frau und habe mit Miss LaFosse allerlei Dinge zu besprechen. Würden Sie es mir sehr verübeln, wenn ich die Unhöflichkeit besäße, Sie zu bitten, uns beide allein zu lassen?«
    »Was denn für Dinge?«
    So leicht gab sich Miss Pettigrew nicht geschlagen.
    »Oh!«, sagte sie ein wenig reserviert. »Gewisse Gegenstände … die zur Bekleidung einer Dame gehören …«
    »Nur zu. Kenne ich alle.«
    »In der Theorie vielleicht«, sagte Miss Pettigrew würdevoll. »In der Praxis hingegen … ich hoffe doch nicht. Wir machen Anproben.«
    »Ich lerne immer gern dazu.«
    »Sie belieben zu scherzen«, sagte Miss Pettigrew streng.
    »Okay«, gab Phil nach. »Dann warte ich solange im Schlafzimmer.«
    Miss Pettigrew schüttelte milde amüsiert den Kopf.
    »Wenn Sie meinen … aber Sie werden doch sicherlich nicht länger als eine Stunde in einem kalten Schlafzimmer zubringen wollen.«
    »Gibt es über Unterwäsche denn so viel zu bereden?«
    »Frauen haben auch noch andere Themen.«

    »Kann ich nicht zuhören?«
    »Auf keinen Fall«, verfügte Miss Pettigrew.
    »Und warum nicht? Ist es zu unzüchtig für meine Ohren?«
    Miss Pettigrew erhob sich und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf.
    »Darf ich Sie davon in Kenntnis setzen«, sagte sie, »dass Sie die Tochter eines Hilfsgeistlichen vor sich haben?«
    Dies nahm ihm den Wind aus den Segeln.
    »Okay, Schwester. Sie haben gewonnen. Ich zieh Leine.«
    »Was für eine Wortwahl«, dachte Miss Pettigrew indigniert. »Rührt offensichtlich von zu vielen zweitklassigen amerikanischen Filmen her.«
    Miss Pettigrew half ihm eigenhändig in den Mantel. Auch jetzt noch gab Miss LaFosse sich eher unbeteiligt und erweckte vage den Eindruck, als sei es ihr mehr oder weniger gleichgültig, ob Phil ging oder blieb, dass man solchen alten Jungfern aber nun einmal ihren Willen lassen müsse. Einmal zwinkerte sie ihm sogar auf Kosten von Miss Pettigrew zu, was der nicht entging: Ihr neues, frivoles Selbst spendete diesem raffinierten Schachzug im Rahmen ihrer Verschwörung vorbehaltlosen Applaus.
    »Dann mach’s gut, Baby«, sagte Phil. »Bis demnächst.«
    Er nahm Miss LaFosse in die Arme und küsste sie.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher