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Miss Marples letzte Fälle

Miss Marples letzte Fälle

Titel: Miss Marples letzte Fälle
Autoren: Agatha Christie
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an. Die anderen waren alle bereits auf ihre Zimmer gegangen, um sich fürs Abendessen umzukle i den. Neil brachte mich zu meinem Quartier. »Badg e worthy« war ein reizendes altes Haus, das im Lauf der letzten drei Jahrhunderte durch zahlreiche An- und U m bauten erweitert worden war und in dem an den unerwa r tetsten Stellen kleine Stufen und Treppen hinauf- oder hinunterführten. Kurz gesagt, es war ein Haus, in dem es nicht leicht war sich zurechtzufinden. Ich entsinne mich, dass Neil versprach, auf dem Weg hinunter zum Aben d essen bei mir vorbeizukommen und mich abzuholen. Mir war ein wenig beklommen zu Mute bei dem Gedanken, zum ersten Mal seine ganze Familie kennen zu lernen. Ich weiß noch, dass ich lachend bemerkte, in einem solchen Haus habe man das Gefühl, man könne in den Gängen jederzeit einem Geist begegnen, und dass er darauf leichthin erwiderte, es gehe tatsächlich das Gerücht um, dass es in dem Hause spuke, doch habe keiner von der Familie jemals etwas dergleichen wahrgenommen und er wisse nicht einmal, in welcher Gestalt der Spuk sich a n geblich zeige.
    Dann ging er, und ich machte mich daran, meinen A bendanzug aus dem Koffer zu kramen. Die Carlslakes waren nicht vermögend; sie konnten mit Mühe ihren a l ten Familiensitz halten, und es gab keine Diener, die e i nem die Koffer auspackten oder beim Ankleiden behil f lich waren.
    Nun, ich war schließlich soweit fertig, dass ich mir nur noch die Krawatte umbinden musste. Ich war dafür vor den Spiegel getreten. Darin sah ich mein Gesicht und meine Schultern und dahinter die Wand des Zimmers – eine einfache, glatte Wand, nur in der Mitte durch eine Tür unterbrochen –, und gerade als ich meine Krawatte fertig gebunden hatte, sah ich, dass diese Tür sich öffnete.
    Ich weiß nicht, warum ich mich nicht umdrehte – es wäre wohl das Natürlichste gewesen. Jedenfalls, ich tat es nicht. Ich beobachtete im Spiegel, wie die Tür langsam immer weiter aufging – und blickte in den Raum dahinter.
    Es war ein Schlafzimmer, größer als meines, mit zwei Betten darin, und plötzlich stockte mir der Atem.
    Denn am Fußende des einen Bettes saß eine junge Frau, und um ihren Hals lagen zwei Männerhände. Der Mann drückte sie mit Gewalt aufs Bett zurück und pres s te ihr dabei die Kehle zu, sodass die junge Frau langsam erstickte.
    Es war nicht der leiseste Irrtum möglich. Was ich sah, war eindeutig. Was dort geschah, war ein Mord.
    Ich konnte das Gesicht der Frau deutlich erkennen, ihr leuchtend goldblondes Haar, das maßlose Entsetzen in ihren schönen Zügen, die sich allmählich dunkelrot ve r färbten. Von dem Mann sah ich nur den Rücken, die be i den Hände und eine Narbe, die von seiner linken G e sichtshälfte bis zum Hals lief.
    Ich habe eine gewisse Zeit gebraucht, um die Szene zu schildern; in Wirklichkeit jedoch vergingen höchstens ein paar Sekunden, während ich wie gelähmt in den Spiegel starrte. Dann fuhr ich herum, der Frau zu Hilfe zu e i len… Und an der Wand hinter mir, der Wand, die ich im Spiegel reflektiert gesehen hatte, stand nur ein großer viktorianischer Mahagonischrank. Keine offene Tür – keine Szene der Gewalt. Rasch wandte ich mich wieder dem Spiegel zu. Er gab bloß das Bild des Schrankes wi e der…
    Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen. Dann stür z te ich zu dem Schrank und versuchte, ihn von der Wand wegzuziehen. In diesem Augenblick kam Neil vom Gang durch die andere Zimmertür herein und fragte mich, was, zum Teufel, ich denn da täte.
    Er muss mich für ein bisschen verrückt gehalten haben, als ich in heftigem Ton die Gegenfrage stellte, ob es hi n ter dem Schrank noch eine Tür gebe. Ja, sagte er, es gebe allerdings eine Tür, sie führe ins Nebenzimmer. Ich fragte ihn, wer zurzeit in dem Zimmer nebenan wohne, und er sagte, Leute namens Oldham ein Major Oldham und se i ne Frau. Ich fragte ihn daraufhin, ob Mrs Oldham hel l blond sei, und als er trocken erwiderte, nein, sie sei br ü nett, kam mir allmählich zu Bewusstsein, dass ich wohl im Begriff war, mich fürchterlich zu blamieren. Ich riss mich zusammen, stotterte eine lahme Erklärung hervor, und wir gingen zusammen hinunter. Ich musste einer Art Sinnestäuschung erlegen sein, sagte ich mir und kam mir reichlich beschämt und ein bisschen blöde vor.
    Und dann – und dann sagte Neil: »Meine Schwester Sylvia«, und ich blickte in das schöne Gesicht der Frau, die eben vor meinen Augen erwürgt worden war… und ich wurde ihrem Verlobten
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