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Minerva - sTdH 1

Minerva - sTdH 1

Titel: Minerva - sTdH 1
Autoren: Marion Chesney
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Lord Sylvesters Freigebigkeit
ihrem Vater gegenüber auf einmal verdächtig. Offensichtlich hatte er alles
getan, um sich den Preis zu sichern.
    Aber ich
habe mich ihm freiwillig hingegeben, sagte sie sich wutentbrannt.
    Ein
Schauder überfiel sie. Sie fühlte sich mißbraucht, einfältig und allein
gelassen.
    Jeder wußte
über sie Bescheid. Sie war der Gegenstand einer Wette. In den Clubs lachte man
über sie.
    Plötzlich
war ihr ganz klar, daß sie fort mußte, zurück nach Hopeworth. Sie wollte Lady
Godolphin nicht sehen. Lady Godolphin war viel zu sehr ein Teil dieser
verhaßten Welt.
    Nur einen
Brief wollte sie noch schreiben, bevor sie ging.
    Minerva
stand auf und machte sich mit äußerster Disziplin an ihr Aufgabe. Sie packte
nur einen kleinen Koffer. Glücklicherweise hatte sie noch genug Nadelgeld, um
die Heimreise bezahlen zu können.
    Sie nahm
eine Mietkutsche in die Innenstadt und von da aus die Postkutsche. Ihre
spärlichen Mittel erlaubten ihr nur einen Platz auf dem Dach.
    In
Hopeminster war der Wirt vom ›Goldenen Hahn‹ gerne bereit, ihr eine Kalesche,
die sie nach Hopeworth bringen sollte, zur Verfügung zu stellen, da er ja
wußte, daß sie ihr Vater bei seinem nächsten Besuch bezahlen würde.
    Es war ein
trüber Tag. Ein feiner grauer Nieselregen fiel auf die traurig daliegenden
Felder hinab. In den Fenstern der Häuschen wurden bereits die Kerzen
angezündet, als Minerva endlich den gedrungenen Turm der Kirche von Hopeworth
sah.
    Von der
zweitägigen Reise war sie so erschöpft, daß sie verhältnismäßig gefaßt war. Sie
beschloß, ihrem Vater zu sagen, sein Brief hätte sie so begeistert, daß sie
sich auf der Stelle auf den Weg gemacht hätte. Zum Glück hatte sie während
ihres kurzen Aufenthalts in London den Großteil ihres Nadelgeldes für
Mitbringsel ausgegeben, statt sich selbst etwas zu kaufen. Ihr Gepäck bestand
in erster Linie aus diesen Geschenken, so daß ihre Abreise nicht allzu
überstürzt wirkte.
    Widerstrebende
Gefühle bewegten sie: ein Gefühl der Wut, das sie wünschen ließ, Lord Sylvester
vor sich zu haben, um ihm die Seite aus dem Wettbuch ins Gesicht schleudern zu
können, und ein Gefühl bitterer Trauer, wenn sie daran dachte, daß sie
schwanger sein könnte und ihr keine Wahl bliebe, als ins Wasser zu gehen.
    Die
Trunkenheit des Marquis bei ihrer letzten Begegnung paßte in ihren Augen sehr
gut in diese brutale Männerwelt. Hahnenkämpfe, Preisboxen und Jungfrauen
entehren: Letztlich war alles ein Sport.
    Wenn ihre
Liebe und ihre Sehnsucht nicht mehr so groß gewesen wären, dann wäre ihr
Unglück erträglicher gewesen.
    Vielleicht
kannte sie ihren Vater gar nicht richtig – für sie war er immer der rauhe
Jäger, dem zartere Gefühle fremd waren.
    Doch als
die Begrüßung vorbei war und alle die Geschenke geräuschvoll bestaunt hatten,
die Geschwister sie umarmt und festlich bewirtet und ausgefragt hatten, da war
es der Pfarrer, der sie in sein Arbeitszimmer führte. Es war der Vater, der die
Tür hinter ihr schloß, wortlos seine kurz geratenen Arme aufhielt, sie ganz
fest an sich drückte, sie weinen ließ und keine einzige Frage stellte.

Zwölftes
Kapitel
    Die Ernte war eingebracht, und ein
kühler Oktoberwind wehte über die kahlen Äcker. Der Wind trieb rote und gelbe
Blätter vor sich her, und die Bäume schüttelten ihre Äste dem stürmischen
Himmel entgegen.
    Der Pfarrer
konnte von seinem frevlerischen Hochsitz, einem Tafelgrab, aus sehen, wie
Minervas scharlachroter Mantel sich im Wind bauschte, als sie auf das Dorf
zuging.
    Mit aller
Überredungskunst hatte der Pfarrer Minerva bewogen, ihm nach und nach die
Geschichte ihrer Unbesonnenheit zu erzählen. Er wußte nicht, was er tun
sollte. Normalerweise
wäre er mit schußbereitem Gewehr nach London geeilt und hätte Lord Sylvester
Comfrey gezwungen, das Mädchen zu heiraten.
    Aber er
stand tief in Lord Sylvesters Schuld, weil dieser die Familienfinanzen gerettet
hatte. Außerdem hatte Minerva keinen Zweifel daran gelassen, daß Seine
Lordschaft betrunken gewesen war und daß sie selbst sich ihm dargeboten hatte.
    Trotzdem
verstand er Lord Sylvesters Verhalten nicht. Der Pfarrer war stolz auf seine
Menschenkenntnis, und er hätte schwören können, daß Lord Sylvester nicht der
Mann war, der mit einem anständigen Mädchen aus guter Familie ins Bett ging –
es sei denn, er wollte es heiraten.
    Der Pfarrer
hatte sich niemandem anvertraut, denn er litt selbst schwer unter Minervas
Schande. Es
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